Klassenzimmer

Rückstellungen an der Waldorfschule: Eine Ideensammlung aus Elternsicht

David Jacobs

Als ehemaliger Waldorfschüler und nun Vater eines sechsjährigen Sohnes habe ich mich in den vergangenen Monaten mit dem Thema Rückstellungen befasst.

Wie kann der Übergang vom Kindergarten in die Schule organisiert werden, ohne bei den Kindern Enttäuschungen und emotionale Verletzungen hervorzurufen?

Ich habe mich mit vielen Eltern in verschiedenen Städten ausgetauscht und auch viele gute Diskussionen mit Erzieher:innen und Lehrer:innen an Waldorschulen geführt. Daraus ist aus Elternsicht eine Ideensammlung für einen sorgsamen Umgang mit Rückstellungen entstanden. Ich erhebe mit diesen Vorschlägen keinen Anspruch auf Vollständigkeit, hoffe jedoch, dass über diesen Weg ein konstruktiver Austausch zwischen Kindergärten, Schulen und Eltern initiiert wird. Weitere Infos sind auf der Webseite https://waldorfrueckstellung.blog/ abrufbar.

Leider werden jedes Jahr aufs Neue viele Kinder im Vorschulalter bitter enttäuscht oder sogar traumatisiert, da die in Aussicht gestellte Einschulung doch nicht vollzogen wird. In den vergangenen Jahren wurden diese Schwierigkeiten oft als bedauernswerte Einzelfälle angesehen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass es um kommunikative und strukturelle Probleme geht, die relativ einfach aus dem Weg geräumt werden könnten.

Im Folgenden werden vier Handlungsfelder und die dazu gehörigen Handlungsoptionen dargestellt. Einige Waldorfschulen oder Kindergärten haben einzelne dieser Optionen bereits implementiert. Für andere kann die Übersicht hoffentlich als Inspirationsquelle dienen.

Transparente und frühzeitige Kommunikation mit den Eltern

Eine transparente und frühzeitige Kommunikation mit den Eltern ist ein wesentlicher Baustein, um mögliche Enttäuschungen von Rückstellungskindern zu vermeiden. In der Waldorf-Gemeinschaft gibt es oft Erfahrungswerte bezüglich der Einschulung und Rückstellung. Die Erfahrung steht neuen Eltern, die ihr erstes Kind an einer Waldorfschule einschulen möchten, oft aber nicht zur Verfügung. Es bestehen folgende Handlungsoptionen:

  • Transparente Kommunikation auf den Webseiten der Waldorfschulen und Kindergärten (Informationen zum Thema Rückstellungen)
  • Erfahrungswerte bezüglich der Einschulung an Waldorfschulen in der Region kommunizieren (für neue Eltern)
  • Ein spezieller Elternabend zu Einschulung und Rückstellung für Eltern im vorletzten Kindergartenjahr

Bessere Abstimmung zwischen Kindergärten und Schulen

Insbesondere in größeren Städten mit einer Vielzahl von Waldorfkindergärten und -schulen sollte eine bessere Kommunikation gepflegt und institutionalisiert werden. Sinnvoll wäre eine gemeinsame Veranstaltung der Kindergärten und Schulen zur Abstimmung der Einschulungskriterien, die schriftliche Einschätzung der Erzieher:innen auf Basis des letzten Entwicklungsgesprächs, was als Hintergrundinformation für die Auswahlgremien der Schulen gelten kann und ein direkter Austausch zwischen Schulen und Kindergärten bei divergierenden Meinungen bezüglich der Schulreife eines Kindes.

Einschränkung, Modifizierung oder Abschaffung des Konzepts der »Vorschulkinder« in den Waldorfkindergärten

Das Konzept der »Vorschulkinder« funktioniert an staatlichen Kindergärten und Schulen, da hier die Einschulung nach Stichtag entschieden wird. Hier kann zu Beginn des letzten Kindergartenjahrs klar entschieden und kommuniziert werden, welches Kind auf jeden Fall im nächsten Jahr in die Schule wechseln wird. Im Umkehrschluss funktioniert das Konzept nur bedingt in Waldorfkindergärten und -schulen, da hier nicht der Stichtag / Geburtstag das entscheidende Kriterium ist, sondern der individuelle Entwicklungsstand jedes Kindes.

Entsprechend sollte das Konzept der »Vorschulkinder« überdacht werden. Ich plädiere dafür, den Begriff »Vorschulkinder« grundsätzlich aus dem Vokabular zu streichen und das Konzept nur noch bei Kindern anzuwenden, die zwischen Oktober und März das sechste Lebensjahr vollenden.

Konzepte für die Schulreife-Einschätzung an den Waldorfschulen modifizieren und reduzieren

Bei der Modifizierung der Gespräche zur Schulreife-Einschätzung mit den Kindern geht es in erster Linie um einen Interessenausgleich der Schulen und der Kinder. Einerseits wollen die Schulen aus einem möglichst großen Pool von Kindern auswählen können, um die Zusammensetzung der Klassen optimal zu gestalten. Andererseits sollten aus Sicht der Kinder die Auswahlgespräche auf ein Minimum reduziert werden, um Abweisungen, Enttäuschungen und Stresssituationen für sie zu vermeiden.

Hier empfehle ich, den Eltern im Einladungsschreiben Hinweise zur behutsamen Kommunikation mit den Kindern zu geben, möglichst wenige Kinder zur Schulreife-Einschätzung einzuladen, sie spielerisch zu gestalten (Spielgruppen-Ansatz) und in den Kindergärten in der gewohnten Umgebung zu organisieren.

David Jacobs, *1978, hat früher die Waldorfschule Dortmund besucht und nach einer Weltreise im Bereich Erneuerbare Energien promoviert. Er arbeitet und lebt mit seiner Familie in Berlin. rueckstellung.waldorf@gmail.com | https://waldorfrueckstellung.blog/

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