Als Prinzen verkleidete Frösche

Richard Cooper

Frei zeigt mit zahlreichen Beispielen und Einsichten aus Anthroposophie, Geschichte und Psychologie Möglichkeiten auf, sich die Gesetzmäßigkeiten des Märchenstoffes zu erschließen. Gefühle können dabei zu Erkenntnisorganen werden. Beispielsweise werden die sieben Lebensprozesse als ins Seelische umgewandelte Lernprozesse gedeutet, welche in der Struktur verschiedener Märchen sichtbar werden.

Mit Hilfe der Forschungen des Psychologen Erik Erikson werden Bezüge zu typischen Phasen in der menschlichen Biografie gezeigt und damit die Relevanz des Märchens für die biografische Forschung erwiesen: Das Schicksal kann bildhaft werden.

Was bedeutet die Hochzeit im Schloss? Wie kann ich mit menschenkundlichem Verständnis archetypische Bilder neu entziffern? Frei lässt uns aufmerksam werden für das Pendeln zwischen Vorstellung und Tätigkeit im Denken. Er beschreibt die Verbindung des Männlichen mit dem Weiblichen, die Schaffung der Harmonie zwischen den beiden durch die Entwicklung des Willens im Denken (Prinz) und des Denkens im Willen (Prinzessin).

Wollen wir Märchenweisheit erwerben, müssen wir die Wahrnehmung einer Situation ändern können. Wir müssen lernen, Fragen zu stellen und auf eine Antwort zu warten. Wie ein Wissenschaftler müssen wir Begriffe und Hypothesen neu gestalten, bevor wir reif für wahre Erkenntnisse sind. Im Kapitel »Bienenkönig« mit der Frage »Jüngling« und »Dummling« prüft der Autor die Begriffe von Intellekt und Klugheit in Bezug auf die Entfaltung der Lebensgeschichte des Menschen. Am Beispiel der sechs Nebenübungen zeigt er, wie der Lebenslauf mit der Struktur dieses Märchens korrespondiert.

Frei entfaltet die Hintergründe unseres kulturellen Erbes: die Mysterien von Ephesus, den Logos, die Beziehung zum Tao und zu Christus. Er vermittelt uns einen Eindruck von den weitreichenden Impulsen des Rosenkreuzertums und öffnet dadurch unsere Augen für gegenwärtige Herausforderungen. Wünschenswert wäre eine Betrachtung der Gegenwartskultur, wie Hollywood und der Pop-Musik, die unter Verwendung archetypischer und mythologischer Bilder einen okkulten Einfluss ausüben.

Zu viele eingebaute schematische Entsprechungen verschiedener Gesichtspunkte in den einzelnen Kapiteln verlangten nach stilistischer Verdichtung. Das Buch könnte aber gerade deshalb Brücken bauen zur Integralen und Transpersonalen Psychologie. Insofern kann das Buch als Impuls für eigene Forschung gesehen werden. Man könnte sagen, manche seiner Frösche sind als Prinzen verkleidet. Jedoch besser ein verkleideter Frosch als eine Welt ohne Hexen, Drachen und Prinzessen.

Das Märchen als Kulturschatz ist uns seit jeher ein Mittler zwischen der geistigen und unserer Lebenswelt. Erwerben wir etwas von dieser märcheneigenen Substanz, können wir uns der Entwicklung des Herzdenkens annähern.

Beat Frei: Das Volksmärchen und die Entwicklung des Herzdenkens, kart., 329 S., EUR 19,80, Novalis, Steinbergkirche 2017