Bildung für alle, jenseits von Normen

Hans-Jürgen Bader

Die Wirklichkeit sieht – bisher jedenfalls – jedoch nicht so rosig aus. Nach dem PISA-Schock und den folgenden Reform-Diskussionen verharrt die deutsche Bildungspraxis inzwischen eher in einem Zustand der frustrierten Erschöpfung, und wenn sich etwas tut, dann nicht im Sinne der Bildungsvielfalt, sondern der gegenteiligen Tendenz, nämlich der zunehmenden Vereinheitlichung und Egalisierung nach der Devise: Gleichheit für alle, und sei es auf Kosten des Niveaus, Hauptsache, niemand wird »diskriminiert«.

So betrifft die Veröffentlichung der beiden Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung ein Thema, das eigentlich zu den Grundfragen jeder Bildungspolitik gehört, weil es der einzige wirklich erfolgversprechende Weg aus dem eingangs erwähnten krisenhaften Zustand ist. Die zu beobachtende zunehmende Individualisierung der Menschen fordert zum Nachdenken darüber auf, wie man den differenzierten Anlagen und Fähigkeiten junger Menschen, die sich heute offenbar stärker als früher geltend machen wollen, auf dem Bildungswege entgegenkommen kann.

Der angezeigte Band versammelt Aufsätze, die in verschiedener Weise Vorschläge unterbreiten, wie Bildung effektiver vermittelt werden und vor allem, wie dies in freilassender Weise geschehen kann. Es findet sich auch ein Beitrag über Bildungsgutscheine (Mihael Duran), der neben dem Hinweis auf ihre qualitäts- und wettbewerbsfördernden Wirkungen auch über praktische Erfahrungen damit in Schweden und Chile berichtet, die wohl leider nicht sehr vielversprechend sind.

Mit der Hochschulfinanzierung beschäftigt sich ein Beitrag von Florian Andreas Hartjen und Bernhard Christian Kuske, die Vorschläge machen, die wegführen von den pauschalen Forderungen nach größeren öffentlichen Zuschüssen und sich stattdessen mit vielschichtigen Finanzierungsmodellen auseinandersetzen, die die private Initiative und individuelle Leistungsbereitschaft ansprechen. Dazu gehören Stipendienprogramme und studienbezogene Finanzprodukte – auch unter Kostenbeteiligung der Studenten.

Auch die seit langem schwebende Frage von Eignungsprüfungen statt Abschlussprüfungen wird in einem Beitrag von Clemens Schneider diskutiert. Er kommt zu dem nicht überraschenden Ergebnis, dass Eingangsprüfungen, etwa an Hochschulen, weitaus aussagekräftiger und damit individuell gerechter sind als das noch immer so hochgehaltene Abitur. Und – wie zu erwarten – wird in einem weiteren Beitrag dem allgemeinen Unbehagen an der Schulpflicht durch den Vorschlag einer Bildungspflicht als Kompromiss zwischen Schulpflicht und Bildungsfreiheit Rechnung getragen (Dagmar Schulze Heuling), wie sie in einigen europäischen Staaten schon Wirklichkeit ist.

Die einleitenden Aufsätze des Bandes beschäftigen sich mit den ideellen Grundlagen eines freiheitlichen Bildungswesens, das zu mehr Wettbewerb der Ideen, mehr Bildungsvielfalt und damit zu weniger Selektion führt (Björn Urbansky, Kristina Kämpfer, Nicola Beer).

Der abschließende Beitrag des ehemaligen Politikers Wolfgang Gerhardt unterstreicht die entscheidende Bedeutung eines guten Bildungssystems für den Wohlstand einer Nation, das nur durch Innovationen, gerechte Bildungschancen und einen flexiblen Ordnungsrahmen erhalten werden kann.

Nicht erörtert wird – was in einem Buch über Bildungsvielfalt nahegelegen hätte – der schulpolitische Zentralismus der Länder. Jedenfalls bei staatlichen Schulen schreibt dieser für jede Schulart eines bestimmten Typs den gleichen Lehrplan und dieselbe Organisationsform vor. Er verhindert damit eigene pädagogische Prägungen, wie sie freien Schulen möglich sind.

Kaum Berücksichtigung finden in den Beiträgen leider auch die Schulen in freier Trägerschaft und deren innovative Vorschläge und Ansätze. Ihre besonderen Gestaltungs- und Finanzierungsformen stellen bedenkenswerte Alternativen dar, die als solche zuallererst die Vielfalt im Bildungswesen repräsentieren. Das ist schon vor Jahrzehnten etwa vom Bundesverfassungsgericht als ihre Aufgabe gewürdigt worden- häufig ohne dass sich dies bis in die Kultusministerien herumgesprochen hätte, oder wenn doch, nicht entsprechend gewürdigt wird.

Wohl wegen der fehlenden Berücksichtigung freier Schulen wird auch die Frage, ob Bildungsvielfalt mit der in vielen Beiträgen betonten Vergleichbarkeit der Abschlüsse vereinbar ist, nicht weiter erörtert. Das wäre aber durchaus von Interesse gewesen, übt doch die Schulverwaltung unter der Vorgabe – um nicht zu sagen dem Vorwand – der Vergleichbarkeit erheblichen Druck gegen die Verwirklichung vielfältiger Bildungsformen aus, die gerade von freien Schulen wie den Waldorfschulen praktiziert werden. Die Forderung nach Vergleichbarkeit kann durchaus dem Wunsch nach Vielfalt widersprechen. Denn nicht immer können unterschiedliche Bildungsvorstellungen vergleichbaren Standards unterworfen werden, so etwa, wenn es um die Bewertung pädagogisch-schöpferischer Gestaltungskräfte im Verhältnis zu eher Kognitivem geht.

Peter Altmiks / Kathleen Klotchkov (Hrsg.): Bildung für Alle – Bildungsvielfalt im Ideenwettbewerb, 140 S., EUR 19,–, Peter Lang Verlag, Frankfurt 2015