Das Ich und seine Nerven

Renatus Derbidge

Die Konsequenz des heutigen Neurozentrismus (der Mensch ist sein Gehirn und steuert via Motorneuronen seine Bewegungen) macht den Menschen zum Gefangenen im Schädel, isoliert von der Welt, verdammt zur sozialen Vereinsamung, denn die Kluft zum Anderen wird unüberbrückbar.

Die unterschiedlichen Beiträge ermöglichen ein tiefes Verständnis des Themas in zwei Richtungen: zum einen zum Mysterium Mensch, zum anderen spezifisch zur Aussage Steiners über die motorischen Nerven. Man merkt, dass dieses Thema gar nicht randständig oder nebensächlich ist, sondern zentrale Fragen des Menschenbildes anspricht. Das Thema wird hier zum Brennpunkt, an dem die Diskrepanz zwischen der heutigen Wissenschaftsideologie und der Anthroposophie deutlich wird. Es wird verständlich, weshalb gerade um diese Aussagen Steiners in der Vergangenheit so viel gerungen wurde.

Besonders der Beitrag von Otto Wolff, der das Wesen der Muskeln und Nerven von der Physiologie und Anatomie bis hin zu seelischen Schichten anschaulich schildert, half mir zu empfinden, dass der Wille von außen direkt auf die Muskeln wirkt. Es ist hilfreich, Bewegungen als sinnvolle Ganzheiten zu sehen, die auf ein Ziel ausgerichtet sind. Die sogenannten motorischen Nerven sind durchaus efferent – also vom zentralen Nervensystem zur Peripherie leitend -– und dennoch sensorisch, nämlich insofern sie dem Muskel Wahrnehmungen vermitteln. Sie lösen aber nicht die Bewegung aus, und wenn doch, dann höchstens so wie epileptisches Zucken, wie es die Froschschenkel-Experimente zeigen. Die Muskeln stellen den Leib in den Bewegungsablauf hinein, der vom peripheren Menschen über den Willen mit dem zentrischen Menschen verbunden ist. Sie machen ihn weltfähig und lassen ihn die Kluft zum anderen Menschen überbrücken.       

Wolfgang Schad (Hrsg.): Die Doppelnatur des Ich. Der übersinnliche Mensch und seine Nervenorganisation, kart., 434 S., EUR 20,– Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2014