Das Wesentliche ist unverfügbar

Frank Dvorschak

Deshalb spricht er erst einmal von »Unverfügbarkeit«. Zuerst blickt er auf die Verfügbarkeit: Die Entwicklung geht immer stärker dahin, die Welt sowohl technisch als auch wissenschaftlich erkennbar, berechenbar, kontrollierbar, letztlich beherrschbar zu machen. Dadurch geht eine bestimmte Qualität verloren: die Dialog- und Beziehungsfähigkeit mit anderen Menschen und der Natur – die »Resonanz«. Und damit hat Unverfügbarkeit etwas zu tun. Es geht um eine Wesensqualität, die sich nicht vorhersagen, planen, speichern oder wiederholen lässt und die nur entsteht, wenn man sich vorbehaltlos für sie bereit macht.

Rosa wirft Schlaglichter auf den menschlichen Lebenslauf, zum Beispiel auf Geburt, Krankheit, Tod; und es wird schnell klar, was er mit Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit meint. Bestimmte einschneidende Lebensmomente setzen dem Menschen auch heute immer noch deutlich Grenzen, trotz aller technischen und zum Teil ethisch fragwürdigen Versuche, diese auszudehnen. 

Ich greife den Aspekt »Erziehung und Bildung« heraus. Wissenschaft und Politik versuchen, schulische Bildungsprozesse mess- und steuerbar zu machen. Dem Bildungsziel der Kompetenzentwicklung stellt Rosa ein anderes entgegen: Bildung als Prozess des In-Resonanz-Tretens zwischen dem Kind und einem bestimmten, gesellschaftlich relevanten Weltausschnitt, der zu sprechen beginnt – in Geschichte oder Politik, Physik oder Musik. Das Kind kann sich selbstwirkend darauf einlassen und merkt: Diese Inhalte gehen mich etwas an. Der Autor nennt solche Erfahrungen »Entzündungsmomente«; ungeplant, unverfügbar geschehen sie und erst sie machen die eigene Stimme einer Person aus.

Deutlich und bedrückend wird uns vor Augen geführt, wie der grenzenlose Wunsch nach Verfügbarkeit sein Gegenteil bewirkt: Die Welt entzieht sich uns, sie wird stumm, sie nimmt sogar neu geschaffene, »monströse« Formen an. Das erleben wir an Maschinen, die nicht mehr so funktionieren, wie sie sollen, an der unkontrollierbaren Eigendynamik der digitalen Medien und sozialen Netzwerke und insbesondere an der von uns geschaffenen radioaktiven Strahlung. Wir setzen Prozesse und Wirkungen in Gang, die sich nicht mehr steuern lassen. Dadurch entfremden wir uns immer stärker von der Welt und landen beim Gegenteil dessen, was wir erreichen wollen.

Dies ist fürwahr kein positiver Ausblick, aber eine empfehlenswerte Analyse; und wir können gespannt sein, wozu Rosa diese Einsichten künftig führen werden.

Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit, brosch., 136 S., EUR 19,– Residenz Verlag, Salzburg 2018

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