Die Gedanken sind nicht frei

Helmut Fiedler

Wehling zeigt als Linguistin die Unfreiheit im Denken durch die Setzung politischer Frames (Rahmenbegriffe oder Sprachregelungen), Russ-Mohl als Kommunikationswissenschaftler die Zerstörung von Vertrauen.

Wehling führt anhand zahlreicher Beispiele die Wirkungen neurologischer Tatsachen aus: Durch »embodied cognition« assoziiert der Mensch etwa automatisch mit dem Begriff »Schildkröte« »Langsamkeit« – und es ist nachweisbar, dass diese Assoziation sich signifikant auf nachfolgende Einschätzungen (etwa von Geschwindigkeiten) auswirkt. Das geschieht unbewusst. Diese Tatsachen werden in der Politik bewusst eingesetzt: Der Begriff »Euro-Rettungsschirm« ist positiv belegt, weil ein Schirm Schutz bietet; ein Hinterfragen wird so erschwert. Es ist folglich durchaus möglich, den Menschen durch Begriffssetzungen in seinem Denken zu beeinflussen.*

Russ-Mohl beschäftigt sich ausführlich mit den Folgen der Digitalisierung für die öffentliche Kommunikation. In Zeiten des Internets ist prinzipiell jeder auch Sender in dieser Kommunikation, in der analogen Zeit waren das nur wenige. In sozialen Netzwerken können so problemlos auch »fake news« verbreitet werden, wodurch Vertrauen und Sicherheit verloren gehen. Durch Desinformation entsteht Misstrauen und der Zusammenhalt der Gesellschaft wird aufs Spiel gesetzt. Im Internet funktioniert der Journalismus nicht mehr so wie in der analogen Zeit: Es besteht kaum Bereitschaft, für Informationen etwas zu bezahlen. Heute wird mit Desinformation und Unterhaltung Geld verdient. Haben in der analogen Zeit die existierenden wenigen Fernsehprogramme und Zeitungen Verbindungen in der Gesellschaft herstellen können, sitzt heute jeder in seiner Filterblase, die auch noch von »social bots« beeinflusst wird. Russ-Mohl beschäftigt sich auch mit Lösungsansätzen, sieht dort aber zahlreiche Schwierigkeiten – bei der Medienerziehung in Schulen etwa braucht man viel Zeit und die Nachhaltigkeit ist nicht garantiert, da psychologische Mechanismen wie beim Framing dem entgegenstehen.

Die Schule und der Unterricht sind von den dargelegten Zusammenhängen direkt betroffen. Einerseits der Lehrer selbst, der sich seiner Urteilsbildung bewusster werden muss, andererseits aber auch mindestens in doppelter Weise der Unterricht: Die Position des Lehrers ändert sich. Er ist kein Schleusenwärter für Wissen mehr. Medienerziehung muss ein zentraler Bildungsinhalt werden.

* Anmerkung der Redaktion: Mit ihrem Framing-Manual für den ARD hat die Autorin inzwischen versucht, ihre Theorien großräumig in die Tat umzusetzen.

Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, Tb., 228 S., EUR 12,– Herbert von Halem Verlag, Köln 2018

Stephan Russ-Mohl: Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet, geb., 367 S., EUR 23,– Herbert von Halem Verlag, Köln 2017