Die Radikalität der Waldorfidee

Clara Steinkellner

Unter 48 Kurztiteln sind Zitate aus 29 verschiedenen Bänden der Gesamtausgabe der Werke Rudolf Steiners aufgereiht, welche die Brisanz des Konzeptes schnell deutlich machen: »Freie Schulen nur ohne staatliche Finanzierung möglich« liest man da, oder »Lieber langsames Wachstum als Lehrgenehmigung akzeptieren«, ja, sogar »Abschaffung der Schulpflicht« und »Kein Protektionismus für die eigene Weltanschauung« oder auch »Der Lehrer ist ›autonom‹, auch mit Waldorf-Lehrplan«. Ein zentrales Motiv der »Freien Schule«, das Mosmann auch im einleitenden Essay betont, ist der Zusammenhalt des Lehrerkollegiums, der sich auf nichts Anderes als den freien Willen zur Zusammenarbeit gründen soll. – Ist das konkrete gemeinsame Anliegen nicht mehr stark genug, um »den Laden zusammen zu halten«, so bleibt nur die Trennung als Konsequenz. Unter der provokanten Überschrift »Ein typischer Krankheitsverlauf« beschreibt Mosmann, wie originäre Formen der Selbstverwaltung durch solche des althergebrachten Vereinsrechtes in ungesunder Weise beeinträchtigt werden. So wird der Vorstand unversehens zum Arbeitgeber und der Lehrer zum Angestellten. Fest steht: Mit dem Ausleuchten der gesellschaftskritischen Seite des Waldorf-Impulses wird dieser auf einer viel grundsätzlicheren Ebene verankert als jener der »Ersatz-Schulen mit Alternativ-Pädagogik«. Es wird deutlich, dass es nie darum ging, »heile Welten« oder gar elitäre Innenräume innerhalb der unzeitgemäßen sozialen Strukturen zu schaffen, sondern mit dem »Betreiben« von freien Bildungsräumen zugleich die bestehenden gesellschaftlichen Normen umzugestalten – bis hinein in die Frage der Bildungsfinanzierung, der »Lehrgenehmigung« und des Rechtes auf Bildung.

Die »freie« Schule im Steinerschen Sinne wirkt nach zwei Seiten hin transformierend: pädagogisch auf die ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen und gesamtgesellschaftlich auf ihr Umfeld, auf die Elternhäuser, den staatlichen Schulverwaltungsapparat, den Arbeitsmarkt und die kritische Öffentlichkeit.

Rudolf Steiner: Was ist eine ›freie‹ Schule? Herausgabe, Vorwort und Kommentar von Johannes Mosmann, Taschenbuch, 170 S., EUR 14,95, Institut für soziale Dreigliederung, Berlin 2015