Die Wahrheit ist eben die Wahrheit

Hella Kettnaker

Von der Teekanne vor der Mauer bis zur hell lodernden Flamme oder auch nur der Wärme ist je nach Position des Beobachtenden viel Verschiedenes zu sehen und zu fühlen. Der wesentliche Punkt jedoch ist: Wie erhalte ich mit anderen gemeinsam das Feuer in einer Welt, die Licht und Wärme braucht?

Die Autorin Ilse Wellershoff-Schuur ist seit 2000 Pfarrerin der Christengemeinschaft, hält viele Vorträge und hat eine interreligiöse und multikulturelle Begegnungsstätte in Galiläa mitbegründet. Ganz konkret geht es zu Beginn des Buches um ein Treffen im Jahr 2006, als die drei Festeszeiten Michaeli, Ramadan und Sukkot Ende September zusammenfielen. Aus diesem Anlass trafen sich Christen, Muslime und Juden in der Nähe des Kibbuz Harduf, um zu diskutieren, zu feiern und wieder einmal festzustellen, dass Begegnung bereichert.

Mit spannenden Bezügen zur heutigen Realität beschreibt die Autorin Fragen zum Islam, die ihr häufig gestellt werden, und mögliche Antworten. Es geht dabei auch um die fünf Säulen des Islam:das Bekenntnis, das Gebet, das Fasten, die Abgabe von Almosen und das Pilgern. Eindrucksvoll ist dabei ihre Beschreibung der Betenden, die sich rund um die Weltkugel zu bestimmten Zeiten in Richtung Mekka verbeugen. Man spürt förmlich die Ausstrahlung dieser Energie.

Immer schlägt sie einen Bogen zum Christentum. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die westlichen, christlichen Menschen ständig individueller werden und Glaubensfragen oft eigenverantwortlich entscheiden wollen, um sich bewusst in eine Gemeinschaft zu stellen. Der Trend geht vom Dogma zum eigenen Gewissen. Im Islam dagegen gibt es noch eine starke Strömung, die sich einer engen und dogmatischen Auslegung des Korans unterordnet. Allerdings hat die Autorin in Gesprächen mit vielen Muslimen erfahren, dass deren Wahrnehmung des Korans eine offene und weite ist und sich beide Religionen nicht so unähnlich sind. Die Wahrheit ist eben die Wahrheit, unabhängig von der Religion.

Der vielleicht anfänglich Fragen aufwerfende Titel beantwortet sich im Buch als Quintessenz des Inhalts. »Allahu akbar«, das in islamischen Ländern beim Gebetsruf erklingt, heißt nicht etwa »Gott ist groß«, sondern «Gott ist größer« – größer als die Religionen und alles vermeintlich Trennende. Ein in diesem Sinne Neugier weckendes, sehr fundiertes und gut geschriebenes Buch zur richtigen Zeit.

Ilse Wellershoff-Schuur: Gott ist größer. Muslime und Christen – Herausforderungen des religiösen Lebens, 176 S., EUR 18,–, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2017