Fragiler Bewusstseinswandel

Johannes Roth

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 hat ähnlich wie die von 1986 aller Welt die zerstörerischen Kräfte und die Unkontrollierbarkeit der Kernenergie vor Augen geführt. Es folgte die klare Stellungnahme einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen die zivile Nutzung der Kernenergie. Das wurde von pragmatischen Politikern ungeachtet früherer Überzeugungen rasch aufgegriffen und umgesetzt. Pragmatismus ist gleichwohl noch kein Bewusstseinswandel; warum ein solcher aber im Umgang mit dieser Technologie unverzichtbar ist, das zeigt Hans-Bernd Neumann überzeugend in seinem kürzlich erschienenen Büchlein »Radioaktivität und die Zukunft des Menschen«.

Neumann legt dar, wie aus den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Quantenphysik die Unmöglichkeit folgt, den technischen Errungenschaften derselben allein mit den hergebrachten logischen Denkmustern zu begegnen, wie vielmehr das Denken einer Erweiterung zur »Translogik« bedarf. Diese Analyse reicht bis in den Sprachgebrauch. Hier wird gezeigt, wie irreführend die gebräuchlichen Worte – Kontamination, Schnellabschaltung, Endlager – sind. Dieses und die vielfältig lebensbedrohenden Folgen der Strahlung übersichtlich und gut verständlich aufgezeigt zu haben, macht diese Schrift wertvoll und lesenswert.

Überdies bringt Neumann seine These vor, dass sich in der Phänomenologie der Radioaktivität und in der Gestaltung der Reaktoren eine Gestensprache zeige. Diese bringt er in Beziehung zu derjenigen, die sich in alten Kultstätten und am heutigen christlichen Altar als Orten der Wandlung zeigt. – Wer Ähnlichkeiten und Analogien entdeckt, läuft leicht Gefahr, den Boden der hierbei unverzichtbaren gedanklichen Strenge zu verlassen. So stellt sich beispielsweise die Frage, welcher Begriff der Wandlung am Altar zugrunde liegt, wenn dieser Begriff als eine »exakte (!) Beschreibung des eigentlichen Vorganges bei der Isotopenmutation durch Neutroneneinfang« gesetzt wird. Was hierzu am Ende des Buches angedeutet wird, lässt vermuten, dass etwas zu viel auf einmal gewollt wurde – mitunter auf Kosten gedanklicher Gründlichkeit.

Das nimmt dem Hauptanliegen des Buches freilich nichts von seiner grundsätzlichen Berechtigung und Notwendigkeit. Und es bleibt zu hoffen, dass sich viele Leser ebenso gern mit diesem Anliegen verbinden, wie es beim Schreiber dieser Rezension der Fall ist.

Hans-Bernd Neumann: Radioaktivität und die Zukunft des Menschen, geb., 108 S., EUR 15,90, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2012