Geglücktes Buch über einen unglücklichen Menschen

Malte Schuchhardt

2011 wurde die 200jährige Wiederkehr des Todes von Heinrich von Kleist gefeiert. Ein wertvoller Beitrag zu diesem Jubiläum war das 1964 erschienene Buch von Heinz Demisch »Heinrich von Kleist. Schicksal im Zeitalter der Bewusstseinsseele«. Der Titel wurde neu aufgelegt und lautet jetzt: »Heinrich von Kleist. Wer wollte auf dieser Welt glücklich sein«? Der Text ist unverändert übernommen und durch ein anregendes Nachwort von Christel Kiewitz und die beeindruckende Kurzbiographie des Autors, die wir Christa Lichtenstern verdanken, bereichert worden.

Beim Wiederlesen des Buches nach vierzig Jahren bemerkte ich mit Freude, dass es von seiner belebenden Wirkung auf den Leser nichts verloren hat. Das Kleistbuch stellt, wie Demisch im Vorwort selbst betont, weder eine Kleistbiographie noch eine umfassende Interpretation seines Werkes dar. Es beruht vielmehr »auf der Beobachtung und Interpretation von bestimmten bildhaften Situationen im Leben und in den Werken des Dichters«. Schon auf den ersten Seiten des Buches zeigt Demisch seine besondere Fähigkeit, in knapper, konzentrierter Form Symptomatisches für Kleist anschaulich und präzise zur Darstellung zu bringen, indem er die beiden Geburtsstädte von Kleist und Goethe, Frankfurt an der Oder und Frankfurt am Main, einander gegenüberstellt. Ein glanzvolles Beispiel für Demischs Methode, sich in ein bestimmtes Motiv zu vertiefen und dabei alle Register seines breiten kulturgeschichtlichen Wissens zu ziehen, stellt das Kapitel »Der Lorbeerkranz« dar. Auf gut zwei Seiten entwickelt der Verfasser die Bedeutung des Lorbeerkranzes vom altägyptischen Totenbuch bis zur Goethezeit und schafft damit das Fundament, dieses Motiv im Leben und im Werk Kleists erfolgreich zu untersuchen. In dem kurzen Kapitel »Das Kranz-Motiv und der Prinz von Homburg« kann er die Früchte des vorausgehenden Kranzkapitels ernten. An keiner Stelle des Buches verselbstständigt sich das immense Wissen des Autors, es wird ökonomisch und zielgerichtet eingesetzt und in einem gewandten, nuancenreichen Stil vorgetragen.

Dem Kleistfreund ist das Buch zum Lesen oder Wiederlesen wärmstens zu empfehlen. Für den Deutschlehrer, der Kleist im Unterricht behandelt, ist das Buch in methodischer Hinsicht geradezu lehrreich. 

Ernst-Christian Demisch (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Wer wollte auf dieser Welt glücklich sein? geb., 184 S., EUR 19,90, Freies Geistesleben, Neuauflage, Stuttgart 2011