Hand belehrt Gehirn

Stefan von Heynitz

In Schweden wird gegenwärtig viel über Schule und Ausbildung geschrieben und diskutiert, man beklagt zum Beispiel das schlechte Abschneiden bei den PISA-Tests und viele Menschen, die sich für kompetent halten, sind sich darin einig, dass die schulischen Leistungen der jungen Menschen deutlich besser werden müssten. Damit sind in der Regel die theoretischen Fächer gemeint, die künstlerischen und handwerklichen Fächer bleiben weitgehend unbeachtet.

In diesem Kontext verdient das Buch von Eva Malm große Beachtung. Malm beschreibt einleitend das Rätsel, das mit dem Begriff Mensch verbunden ist, und schlägt mit einem Hinweis auf John Hattie eine Brücke zur aktuellen pädagogischen Debatte. Viel spricht dafür, dass der soziale Kontext, die Art, wie Lehrer und Schüler konkret zusammenarbeiten, für den Lernerfolg entscheidend ist. Vor diesem Hintergrund hat Steiners Pädagogik besondere Aktualität. Erziehung soll die jungen Menschen nicht an eine bestehende Gesellschaftsform anpassen. Umgekehrt sollen Gesellschaftsstrukturen so offen sein, dass jede Generation ihre eigene Wirklichkeit schaffen kann.

Ein wirklich lebendiger Unterricht kann nicht einfach wiederholt werden, es muss immer Raum geben für Unvorhersehbares und Unerwartetes. Die Bedeutung des Rhythmus für den Lernprozess wird benannt sowie die zentrale Rolle von Atmung und Schlaf.

Der zweite Teil des Buches widmet sich dem Thema Die Hand als Wissensvermittler. Malm schildert darin, wie unendlich wichtig Berührung ist: In dem Augenblick, in dem das Neugeborene berührt wird und selbst mit der Hand anrührt und anschließt, beginnt Wissensvermittlung, die das ganze Leben anhält. Der rein physiologische Aufbau der Hand wird beschrieben, die so genial konstruiert ist, dass eine unfassbar große Menge von Tätigkeiten möglich wird. Dass das Gehirn in der Lage ist, die Hand zu steuern, ist allgemein bekannt, allmählich setzt sich aber auch die Einsicht durch, dass die Bewegungen mit der Hand die Entwicklung des Gehirns nachhaltig beeinflussen und prägen.

Malm untersucht im Folgenden die handwerkliche Tätigkeit bei der Wissensvermittlung.

Um etwas zu begreifen, sind die Hände unverzichtbar. Das gilt für das Lernen im weitesten Sinne ebenso wie für die Entwicklungen des Zwischenmenschlichen. Im Folgenden gibt Malm einen Überblick über den Aufbau des Handwerksunterrichts in den verschiedenen Altersstufen an der Waldorfschule.

Der dritte Teil des Buches handelt von dem Zusammenwirken der verschiedenen Sinne im Verhältnis zum Gedanklichen. Malm gibt einen Überblick über die 12 Sinne, ihr Zusammenwirken wird an einigen Beispielen erläutert. Anschließend wird aufgezeigt, welche Konsequenzen diese Zusammenhänge für eine Pädagogik des Jugendalters haben können.

Das Buch verdient einen großen Leserkreis. Ihr Buch könnte in der allgemeinen Schuldebatte einiges bewegen – nicht nur in Schweden. Eine Übersetzung ins Deutsche wäre sehr zu wünschen.

Eva Malm: Die Bedeutung und die Würde des Jugendlichen – ein Essay über das Zwischenmenschliche und die menschliche Mitte. Stockholm 2012 (Originaltitel: En tonårings värde och värdighet, Carlsson bokförlag, Stockhom 2012,  ISBN 978-91-7331-574-6)