In der Hitlerzeit für Waldorf gekämpft

Frank Hörtreiter

Ausgerechnet 1933 bis 1945 waren die glanzvollsten Jahre einer Sängerin, die in Stuttgart, Dresden und Bayreuth Maßstäbe setzte – nicht an Virtuosität, sondern an Innigkeit und geistiger Durchdringung der Rollen, die sie als Alt und später als hochdramatischer Sopran verkörperte. Was sie als Kundry, Isolde, Brünhilde, aber auch in Strauß-Opern geleistet hat, bringt noch heute Menschen zum Träumen. So tiefgründig sich Marta Fuchs auf der Bühne äußern konnte, so bodenständig schlicht (unverkennbar schwäbelnd) war ihr Auftreten. So konnte sie sich manche Geradheiten gegenüber Hitler, Heydrich und anderen Nazi-Größen leisten, ohne den Status des »gottbegnadeten Künstlers« zu verlieren, der sie gegenüber  Anfeindungen immun machte.

Sie hat früh die Anthroposophie und die Christengemeinschaft als ihre geistige Heimat erkannt und sich unerschrocken dazu bekannt. Zusammen mit den Offizieren Erdmenger und von Ruckteschell hat sie sich dafür eingesetzt, das Verbot der anthroposophischen Gesellschaft, der Waldorfschule und später der Christengemeinschaft zurückzunehmen.

Auch bei den Bemühungen, Menschen aus den Gefängnissen und Konzentrationslagern  frei zu bekommen, hat sie wohl eine größere Rolle gespielt, als es die Dokumente belegen, die dieses Buch enthält.

Die Waldorfschulen stünden bis heute anders dar, wenn es den Einsatz und die Beziehungen von Marta Fuchs und ihren Freunden nicht gegeben hätte. Es war schicksalhaft, dass sie zur Ur-Schule in Stuttgart und zur Dresdener Waldorfschule, die sich am längsten gegen das Verbot stemmen konnte, durch ihre langjährige Glanzzeit an den jeweiligen Opernhäusern die stärksten Bindungen hatte. Für die Waldorf-Geschichte in der Hitlerzeit ist dieses Buch eine wichtige Quelle.

Dass zwei so unterschiedliche Autoren zusammengewirkt haben, ist ein Glücksfall: Roswitha von dem Borne hat mit dem Spürsinn der Dokumentensucherin unermüdlich das Zeitschicksal beschrieben, und Johannes Lenz war durch die Freundschaft seiner Familie mit Marta Fuchs als Augen- und Ohrenzeuge prädestiniert. Er schreibt mit der Wärme dessen, der  als Kind vor dem Verbot der Christengemeinschaft und dem Verlust seines Vaters und seiner Schwestern die legendären Aufführungen in der Dresdener Oper miterleben durfte – und zwar unentgeltlich auf dem Parkettsitz, den Marta Fuchs stets vergeben konnte.

Roswitha von dem Borne/Johannes Lenz: Marta Fuchs, 1898-1974, 374 S., Pb. EUR 28,- Verlag Johannes Mayer, Stuttgart 2010