Klassisch gut

Griet Hellinckx

In der spirituellen Literatur gibt es ebensolche Größen, deren Aussagen im Laufe der Jahre wenig an Aktualität und Weisheit eingebüßt haben. In dem vorliegenden, fast 500-seitigen Buch kann der Leser solche Inhalte entdecken. Sie stammen u.a. von Martin Buber, Henry David Thoreau, Janusz Korczak, Edith Stein, Jiddu Krishnamurti und Khalil Gibran. Rudolf Steiners Werk findet in einem Vortrag des englischen Anthroposophen Adam Bittleston Beachtung.

Im Jahr 1961 veranstaltete der englische Lehrer und Mystiker John G. Bennett in London eine Tagung mit dem Titel »The Spiritual Hunger of the Modern Child«. Diese war mehr als 50 Jahre später für die beiden Herausgeber Inspiration und Grundlage für eine Anthologie zu diesem Thema. Sechs Vorträge, die damals gehalten wurden, fanden ihren Platz in diesem Werk. Ergänzt wurden sie mit mehr oder weniger mystisch-reflexiven Texten. Viele stammen von Autoren aus dem Umfeld von Reshad Field, einem spirituellen Lehrer, der vor zwei Jahren verstarb und dessen Werk ebenfalls im Chalice Verlag erscheint. Künstlerische Arbeiten von Kindern aus Zürcher Montessori-Schulen sowie weitere kurze Zitate aus unterschiedlichen Religionen und Strömungen bereichern die Gestaltung des Buches.

Es ist kein Buch, das man in einem Atemzug liest, so wie man auch bei den besten Pralinen rechtzeitig aufhören sollte, damit der Genuss erhalten bleibt. Wer sich die Zeit nimmt, die verschiedenen Kompositionen auf sich wirken zu lassen, gewinnt bereichernde neue Perspektiven. Als Beispiel sei eine Schilderung von Navid Kermani genannt, der bei der Geburt seines zweiten Kindes sich vor Augen führte, dass er sich in Zukunft für kaum einen Menschen mehr interessieren würde als für das Frühgeborene, über das er jetzt noch fast nichts weiß.

Das Buch hat seine Tücken. Frauen sind darin deutlich untervertreten. Unterschiedliche Traditionen und Zeitepochen treffen aufeinander, so dass bei einigen Texten dem Leser der Kontext fehlt. Die Ansichten sind manchmal datiert, manchmal nur tradiert. Dennoch sind es gerade die vielen Sichtweisen, die dazu anregen, offen zu bleiben und nichts als absolute Wahrheit, sondern immer als Wahrnehmungs- und Denkanstoß zu betrachten.

Robert Cathomas, Helga Jacobsen (Hrsg.) Der spirituelle Hunger des Kindes – Von der Erziehung zum Werden-lassen des Seins, brosch., 456 S., EUR 29,50, Chalice Verlag, Xanten 2018