Leben im Zwischenraum

Michael Brater

Der Frage, welche geistigen Lern- und Entwicklungsimpulse für die Menschen in der Technik und ihren Bedrohungen verborgen sind. Diese spirituelle Frage sucht den wirklichen Sinn der digitalen Techniken und ihrer Probleme nicht in ihrem alltäglichen Nutzen oder Schaden. Sondern sie prüft diesen Sinn daran, welche Bewusstseinsschritte und welche inneren Fortschritte Menschen an und durch Technik gewinnen können. Norbert Schaafs Buch kann man als Aufforderung lesen, an dieser zentralen Frage zu arbeiten, statt sich in Ängsten, Widerstand und Ohnmachtsreflexen zu verzehren. So wie der Autor als Pfarrer diese Frage angeht, macht er zugleich deutlich, dass die Antwortsuche nicht nur Mühe und gedankliche Quälerei sein muss, sondern auch Freude und Genuss, ja selbst schon ein erster Schritt zu ihrer Beantwortung sein kann. Er legt seine Untersuchung als lose Folge von episodischen Meditationen an, die sich ergeben aus seinen Erfahrungen mit seinen Schülern im Religionsunterricht, aus Lesefrüchten (Dalai Lama, Harari, Beuys, Handke), aus der Apokalypse des Johannes und aus seinem Leben mit dem Gedicht »Sprich auch Du« von Paul Celan. Niemand wird von einem Text von gerade einmal 90 Seiten erwarten, dass er eine bündige Antwort auf die aufgeworfene brennende Zeit-Frage geben kann. Dem Autor gelingt etwas viel mehr in die Zukunft Weisendes: Zur Sprache kommen, sporadisch rückgebunden an das 5G-Thema, große Aufgaben der Erneuerung und Erweiterung des menschlichen Bewusstseins, die in unserer Gegenwart angegangen werden können. Diese Aufgaben können nur gelöst werden, wenn die einzelnen Menschen ihre universelle Verantwortung für den ganzen Globus (endlich) ergreifen und für diese Welt »Sorge tragen« lernen. Das wird nur möglich, wenn »Ich« nicht nur auf das Leben, sondern auch auf den Tod blicke als »Umkehrbild des Lebens«. Eine Kultur der Ambiguität ist gefragt: »Mein gelebtes Verhältnis gegenüber dem lebenslang unsichtbaren, aber nahseienden Tod, das ist letztlich Religion. Und darin liegt auch schon die religiöse Enthaltsamkeit. Eine Ohnmacht innerhalb des Weltlichen. Ein wundersames Loslassen. Ein Einlassen auf die Angst vor dem Nichts, vor dem Geist. Ein Mut.« Hier zeigt sich die grundlegende Methode des Autors, der »das Paradoxale als Mittel« anwendet, um »Zwischenräume« zu schaffen, »die erst aufnahmefähig sind für jenes Große«. So kann er in  »5G« die ständige Präsenz des Todes im Lebendigen erkennen. Diese Präsenz muss er damit »nicht mehr predigen«. Denn die Schwelle wird nun real, erlebbar, bewusst. Aber gerade den Tod versucht die moderne digitale Technik mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zu überwinden. Und diese »KI«  braucht wiederum »5G«, um überhaupt funktionieren zu können. Aber: »Wenn es den Schwellenübergang nicht mehr gibt, dann fällt das größte Problem überhaupt weg: das dunkle Denken an Gott und mit ihm die Religion und alle ihre Nebenwirkungen.« Harari spitzt das so zu: »Überwinden des Todes ist nicht länger das Monopol des Jesus Christus. Es wird Kulturgut.«

Utopie oder Albtraum? Offenbar beides – sowohl-als auch – ein »Janusköpfiges«, »wirklichkeitswund und wirklichkeitssuchend« (Celan). Wie Norbert Schaaf versucht, dieses Janusköpfige mit Paul Celans Hilfe zu überwinden, und zugleich zu nutzen, wollen wir hier nicht verraten – denn es wäre ziemlich unfair, dem Leser das Vergnügen zu verderben, dies, getragen von Schaafs wunderbarer Sprache, selbst zu entdecken.

Norbert Schaaf: 5G und Ich. 91 S., EUR 12,90, Buchverlag Andrea Stangl, Paderborn 2020