Lehrerausbildung in der Diskussion – Das Stuttgarter Konzept

Frank Steinwachs

Vor diesem Hintergrund entstanden in den letzten Jahren einige Aufsatzsammlungen zum Thema Lehrerausbildung wie die von Heiner Barz (2013) oder Dirk Randoll (2013) herausgegebenen – sie setzten sich mit Intention, Konzept und Praxis verschiedener Ausbildungswege auseinander. Verschiedene Ausbildungswege deshalb weil sich zunehmend zeigt, dass es nicht »die« Waldorfpädagogik gibt und auch nicht »den« Weg, in der Lehrerausbildung zu ihr hinzukommen. So hat sich durch die zunehmende Gründung der berufsbegleitenden und selbstverwalteten Seminare eine für den Alltag oder die Berufsbegleitung funktionale Ausbildung intensiviert und verbreitet. Die drei großen norddeutschen Ausbildungsseminare in Berlin, Kiel und Hamburg haben ihre Konzepte mit der Freien Hochschule Stuttgart verbunden und bieten neben den bisherigen Ausbildungen die entsprechenden Studiengänge als Kooperationspartner an. Die Alanus Hochschule, die im akademischen Rahmen mit dem Seminar in Kassel und der Akademie in Mannheim zusammenarbeitet, veröffentlichte ihre Zugänge in mehreren Schriften und geht innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses einen weiteren Weg, und zwar in Form des hoch dotierten Graduiertenkollegs »Waldorfpädagogik«, in dem eine separate und besondere Förderung des akademischen Nachwuchses stattfindet.

Nun hat auch die Freie Hochschule Stuttgart ihre Vorstellung von Lehrerausbildung in einem umfassenden Sammelband veröffentlicht, in dem die Lehrenden ihr Konzept und ihre Standpunkte zu ihren Fächern darlegen und zur Diskussion stellen. Auch wenn alle Ausbildungsstätten für Waldorfpädagogen ein eigenes und online einsehbares Ausbildungskonzept zugrunde legen, bilden die Aufsatzbände doch für Interessierte an der Lehrerausbildung für Waldorfschulen eine sinnvolle Grundlage, um sich zu orientieren und sich ein Bild davon zu machen, was hinter den Listen der online einsehbaren Cluster steckt, und wie die Ausbildung in Stuttgart verläuft. In diesem Sammelband begegnet der Leser einem notwendigerweise akademischen Duktus in einer trotzdem gut lesbaren Sprache, die es auch dem interessierten Laien ermöglicht, sich mit den Inhalten der Lehrerbildung und den vorgestellten Fächer zu beschäftigen.

Am Anfang steht sinnvoller Weise die Auseinandersetzung mit der Verortung der Waldorfschule in der pädagogischen Landschaft, also eine Kontextualisierung, und es wird deutlich, dass keine Polarisierung aufgebaut wird zwischen Waldorf und Nicht-Waldorf, sondern vielmehr werden philosophische und erkenntnistheoretische Traditionen und Zusammenhänge im Spannungsfeld von Waldorfpädagogik und Erziehungswissenschaft erläutert (Kern, Kranich, Paschen, Zdražil). Gelungen sind auch die Ausführungen zur Anthroposophie als Basis der Waldorfpädagogik, dem Stellenwert, der ihr zugeschrieben wird, und dem Raum, den sie in der Ausbildung haben kann. Auch wenn diese Fragen schon in vielen Publikationen diskutiert wurden, sind sie nach wie vor relevant und mit Blick auf das Stuttgarter Konzept durchaus sinnvoll, noch einmal zu reflektieren. Das Thema pädagogische Intuition ist im erziehungswissenschaftlichen Diskurs ein stark umstrittenes und wird von vielen Erziehungswissenschaftlern als unwissenschaftlich abgelehnt, da empirisch vermeintlich nicht nachweisbar. Ob zufällig oder nicht, scheint es hierbei diplomatisch sinnvoll, dass dieses Thema von Wolfgang Nieke von der Universität Rostock behandelt wurde, der es in einem sehr gut lesbaren, aber auch wissenschaftlich mutigen Text entwickelt. Erkennbar mehr Wert als vorherige Publikationen zur Lehrerbildung legt diese auf die Darstellung der künstlerischen Fächer. Diese werden in den meisten Seminaren nicht nur als Unterrichtsfach gelehrt, sondern als Teil der Persönlichkeitsbildung verstanden, der für alle Studenten relevant ist (Georg Schumacher, Kern, Ronner, Hans, Jeuken, Halfen). – Und es ist wohl auch ein gutes Wagnis, in einer Veröffentlichung des Beltz-Verlages, an dem mittlerweile kaum ein Wissenschaftler vorbeikommt, der sich mit Waldorfpädagogik beschäftigt, einen Aufsatz über die waldorfpädagogischen Lehrermeditationen zu platzieren (Renate Schiller zu den Nebenübungen). So finden in dieser Aufsatzsammlung auch solche Themen viel Raum, die in der akademischen Diskussion nur einen geringen Stellenwert haben oder vielfach umstritten sind. – In den Vordergrund wird also die auszubildende Lehrerpersönlichkeit gestellt, die sich nicht nur durch eine theoretische Ausbildung konstituiert, sondern auch durch einen künstlerisch-selbsterzieherischen Aspekt. Dieser hat in der staatlichen Lehrerausbildung tatsächlich keine Relevanz und Kollegen aus den dortigen didaktischen und erziehungswissenschaftlichen Instituten unterscheiden mittlerweile sogar zwischen fachlich sehr guten Absolventen und potentiell guten Lehrern – dies scheint also vielfach als Widerspruch wahrgenommen zu werden. Die Qualität eines Lehrers liegt natürlich nicht in seinen prüfungsspezifischen Kenntnissen, sondern in einer pädagogisch kompetenten Persönlichkeit, was Jörg Soetebeer in seinem Aufsatz sehr gelungen ausgeführt hat – wenn auch etwas komplex formuliert (vgl. thematisch auch die Aufsätze von Götte und Kranich). Was in den letzten Jahren und im Rahmen der Akademisierung der Ausbildung zum Waldorflehrer leider zu selten publizistisch diskutiert wurde, ist die Bedeutung der Dreigliederung als Grundlage der Schulorganisation bzw. des institutionellen Selbstverständnisses (vgl. zuletzt im Moosmann 2013 und 22015 sowie im Ansatz Zech 2013), denn immerhin: Hier liegt eine der Wurzeln der Schulgründung von 1919 und Hüttig bringt mit seinem Aufsatz diesen Gedanken hoffentlich wieder in die Diskussion. Der dritte Teil, die fachdidaktische Ausbildung, ist konzeptionell etwas knapp geraten, aber mit Blick auf bereits vorliegende Publikationen wie das »Handbuch Waldorfpädagogik und Erziehungswissenschaft« (Schieren 2016) und das im Oktober erscheinende »Handbuch Oberstufenunterricht an Waldorfschulen« (Siegler/Sommer/Zech 2018) durchaus nachvollziehbar, da hier vielfach eine gedankliche Übereinstimmung herrscht, die nicht redundant behandelt werden muss. Die Beiträge zu (unterrichts-)fachspezifischen Themen von Lutzker (Sprache/Sprachsinn), Hutter/Wienemann (Geometrie) und Halfen (Kunstbetrachtung) zeigen vom anthropologischen Standpunkt ausgehend sowie epistemologisch begründet Intention wie Methodik in der Fachausbildung, die empirischen Zugänge diskutieren abschließend Martzog/Nieke/Hoyer, deren Arbeit sich einreiht in die empirische Kommunikation der Waldorfpädagogik und -lehrerausbildung. Hübner reflektiert im vorletzten Artikel die Bedeutung des Lehrers im digitalen Zeitalter, mit der sich auch die Waldorfschulen auseinanderzusetzen haben, denn immerhin ist (nicht nur) die digitale Entwicklung in den Klassenzimmern zunehmend (bildungs-)politisch gewollt und Teil eines in den Schutzraum Schule eindringenden Wirtschaftslobbyismus – und das bringt er präzise auf den Punkt und deutet gleichzeitig alternative Wege für Ausbildung und Unterrichtspraxis an.

Die Aufsatzsammlung von Kern/Zdražil/Götte ist keine Einführung in die Waldorfpädagogik, sondern eine Darstellung des Selbstverständnisses der Stuttgarter Lehrerausbildung für den akademischen Diskurs, die sich aber auch gut für fachinteressierte Leser eignet, denn auch sprachlich wendet sie sich einer breiteren Gruppe zu als nur Studenten oder Lehrern. Insgesamt ist sie ein gelungener Beitrag zur Lehrerausbildung und setzt im Positiven eigene Akzente.

Holger Kern, Tomáš Zdražil, Wenzel M. Götte (Hrsg.): Lehrerbildung für Waldorfschulen. Erziehungskünstler werden, brosch., 384 S., EUR 34,95, Beltz, Weinheim, Basel 2018

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Weiterführende Literatur:

H. Barz (Hrsg.): Unterrichten an Waldorfschulen. Berufsbild Waldorflehrer: Neue Perspektiven zu Praxis, Forschung, Ausbildung. Wiesbaden 2013 | Rudolf Steiner: Was ist eine »Freie« Schule? Hrsg., kommentiert und mit einem Vorwort versehen von Johannes Moosmann, Stuttgart 22015 | D. Randoll /M. da Veiga: Waldorfpädagogik in Praxis und Ausbildung: Zwischen Tradition und notwendigen Reformen, Wiesbaden 2013 | S. Siegler/ W. Sommer/ M. Zech: Handbuch Oberstufenunterricht an Waldorfschulen, Weingarten 2018 | J. Schieren (Hrsg.): Handbuch Waldorfpädagogik und Erziehungswissenschaft, Standortbestimmung und Entwicklungsperspektiven, Weinheim, Basel 2016 | M. Zech: Die Gründungsidee der Waldorfschulen und das Problem der Schul- bzw. Lehrerautonomie im internationalen Kontext, in: Heiner Barz (Hrsg.): Unterrichten an Waldorfschulen. Berufsbild Waldorflehrer: Neue Perspektiven zu Praxis, Forschung, Ausbildung. Wiesbaden 2013