Liebe und Sex

Thomas Müller-Tiburtius

Denn: Was ist überhaupt angemessen in puncto Umgang mit Liebe und Sexualität im Kindheit- und Jugendalter? Was ist verklemmt und was ist seelisch schädigend? Um hierauf Antworten zu finden, muss weiter ausgeholt und tiefer nachgedacht werden, was im Rahmen des Bildungskongresses 2014 in Stuttgart unternommen wurde. Das Buch enthält die maßgeblichen Vorträge und Referate des Kongresses. Der Komplexität des Doppel-Themas entsprechend sind die sechs Beiträge in ihrer Herangehensweise und Schwerpunktbildung sehr unterschiedlich. Besonders lesenswert sind die Ausführungen dann, wenn die zu beobachtenden Phänomene auf überzeugende Weise mit Aussagen Steiners in Verbindung gebracht werden. So arbeitet Elke Rüpke unter Einbezug der anthroposophischen Menschenkunde in ihrem Beitrag heraus, inwiefern sich die frühkindliche Auseinandersetzung mit der Sexualität grundsätzlich von der Sexualität der Jugendlichen und Erwachsenen unterscheidet – ein wichtiger Beitrag, gerade im Zusammenhang mit dem Thema Kindesmissbrauch. In einem ausführlichen Aufsatz wendet sich Johannes Greiner der heutigen Gefährdungslage der Jugendlichen zu, indem er von sogenannten Widersachermächten ausgeht, die kein Interesse an der Liebe, sondern nur an deren Pervertierung haben. In diesem Zusammenhang gelingt Greiner eine bemerkenswerte Deutung der Pornographie aus anthroposophischer Sicht.

Andreas Neider schließlich wendet sich den historischen Wurzeln der sexuellen Befreiung zu, die sich im 20. Jahrhundert vollzogen hat. Sie habe unbestritten positive Auswirkungen auf den Umgang mit Sexualität gehabt, aber durch Zügellosigkeit auch weitreichende, negative Konsequenzen für das Zusammenleben nach sich gezogen. Das freie Ausleben der Sexualität, findet Neider, sei eben nicht Liebe, sondern die extremste Form von Egoismus und Selbstgenuss. Es ist dem Buch eine breite Leserschaft zu wünschen. Es enthält wichtige Ergänzungen zu den Hinweisen in den gängigen Ratgebern. Durch seinen besonderen Ansatz hilft es, Entwicklungen und Phänomene der Gegenwart ganzheitlich zu verstehen, deren Auswirkungen für alle eine große Herausforderung darstellen und denen sich keiner entziehen kann.

Andreas Neider (Hrsg.): Liebe und Sexualität. Ihre Entwicklung und Gefährdung von der Kindheit bis zum Jugendalter, brosch., 134 S., EUR 16,–, edition waldorf, Stuttgart 2014