Mensch oder Markt – eine kompetente Kritik

Frank Steinwachs

Die Begriffe Kompetenz und Kompetenzerwerb sind in der gängigen Didaktik omnipräsent und zeigen die Perspektive neuerer pädagogischer Ansätze: Es geht in der Schule darum, Fachkompetenzen zu entwickeln, um so den steigenden fachlichen Anforderungen des Ausbildungsmarktes und der Universitäten schneller und effektiver begegnen zu können.

Eine Folge davon ist die im Moment gerade von studentischer Seite massiv kritisierte Verschulung und auf den Sachgegenstand reduzierte Lernfabrik Uni, die mit dem Studium als Vorbereitung auf verantwortungsvolle akademisch fundierte Berufe eigentlich nichts mehr zu tun hat. Eine weitere Tragik liegt allerdings auch darin, dass es immer wieder Eltern und Lehrer gibt, welche die Entwicklung der sogenannten Softskills als neues und notwendiges Programm an Waldorfschulen intern oder durch medienwirksame Veröffentlichungen propagieren und dadurch den Zugriff unerwünschter oder langfristig ungenügend reflektierter, methodisch-didaktischer Moden – anders kann diese Praxis ja kaum noch bezeichnet werden – auf die Waldorfpädagogik zu fördern.

In diesem Sinne ist das im Verlag Freies Geistesleben erschienene, ca. 430 Seiten starke Werk von Wenzel M. Götte, Peter Loebell und Klaus Michael Maurer mit dem Titel »Entwicklungsaufgaben und Kompetenzen – Zum Bildungsplan der Waldorfschule« eine erfrischende und wertvolle Auseinandersetzung mit dem Thema Kompetenzen. Aber es geht – so bereits der Titel – ja nicht nur um die Kompetenzen, sondern auch um die Entwicklung, die wir als Pädagogen zu fördern und zu begleiten haben, sicherlich auch eine der besonderen Leistungen der Waldorfpädagogik.

Entsprechend gehen die Autoren auch nicht nur kritisch-konstruktiv mit dem Kompetenzbegriff um, sondern versuchen ihn zudem in die bereits gängige Praxis der Waldorfschule einzuordnen. Nach einer umfassenden Zuarbeit durch die pädagogischen Forschungsstellen werden die Kompetenzerwartungen der einzelnen Fachbereiche mit ihren menschenkundlichen und curricularen Grundlagen sowie den Entwicklungsaufgaben verknüpft und erläutert. Die bisher in einer allgemeinen Sprache gehaltene Lehrplanfassung von Tobias Richter wird durch Götte, Loebell und Maurer anhand der systematischen Analyse und Darstellung unter der Prämisse »Entwicklungsaufgaben und Kompetenzen« für verschiedene Altersstufen, insbesondere die Oberstufe, im Rahmen des fachdidaktischen Diskurses wissenschaftlich fundiert ergänzt.

Mit diesem Text haben die Autoren in doppelter Hinsicht eine große Leistung vollbracht: So wird – was für einige Kollegen sicherlich auch eine Erlösung von Unsicherheiten in der didaktischen Diskussion darstellen kann – für die Waldorfpädagogen der Kompetenzbegriff kritisch hinterfragt, diskutiert und vor allem auf das eigene, waldorfpädagogische System sachkundig angewandt sowie integriert und auch abgegrenzt. Andererseits positionieren sie die Perspektive und besondere Ausrichtung der Waldorfpädagogik mit Blick auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Schülers einmal mehr auch im Rahmen des akademischen methodisch-didaktischen Diskurses, was ein wichtiger Schritt auch in Richtung einer offenen Diskussion innerhalb der Fachwelt und der Gesellschaft ist.

Wenzel M. Götte, Peter Loebell, Klaus M. Maurer: Entwicklungsaufgaben und Kompetenzen – Zum Bildungsplan der Waldorfschule. 437 S., geb. EUR 28,90. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2009