Neue Hände

Siegmund Baldszun

Heute, 2021, mitten in der sogenannten »Pandemie« durchaus! Das kleine Büchlein führt in Neuland und wer mitgeht auf dem Weg dorthin, schafft im lesenden Nachvollzug ein neues Gebiet der Seele, von dem aus die aktuelle Zeitlage mit ihren weltumspannenden existentiellen Nöten verstanden werden kann.

Mit Hilfe der imaginativen Menschenkunde der Märchen und der modernen Geisteswissenschaft Rudolf Steiners eröffnet der Autor ein Tableau, das durch die Übersicht über drei bekannte Märchen und ihre Deutung gerade auch im direkten Bezug zur Waldorfpädagogik die Bilder zum Sprechen bringt. Es sind Märchen, die über das Schicksal der modernen, der geistig arm gewordenen Menschenseele im Zeitalter des Ringens um die Gedanken- und Willenskräfte zwischen Materialismus und Spiritualisierung sprechen. Es geht um Patengeschenke. Bei »Gevatter Tod« ist es der Tod, der die Gabe der ärztlichen Heilung »verleiht«, bei der »Königstochter aus der Flammenburg« Gottvater, der dem Knaben einen kleinen Stier (elementarer Idealismus) übergibt und bei dem »Mädchen ohne Hände« der Teufel, der dem armen Holzhacker (dem zergliedernden Intellekt) Reichtum verspricht, wenn er ihm das gibt, was »hinter der Mühle« steht. Das ist allerdings nicht der alte Apfelbaum, sondern die reine Seele, die Tochter.

Der Autor arbeitet anhand von Vortragszitaten Steiners heraus, wie die Seele durch Empathie und gedankliche Vorurteilslosigkeit (Gedankenweg) sowie durch jugendlichen Idealismus (Willensweg) in der Auseinandersetzung mit zerstörenden Kräften zu Heilung und Zukunftskraft für die Erdenaufgaben finden kann. Gerade die Waldorfpädagogik hat durch künstlerisches Unterrichten und Kunstunterricht hier eine wichtige Aufgabe, indem sie mit den »Patengeschenken« der Kinder arbeitet und in ihnen ein Freiheitserlebnis erweckt. In der Kunst lernen wir, uns ganz einer Sache hinzugeben, uns willensstark mit ihr auseinanderzusetzen. Gleichzeitig verbinden wir uns aber auch mit etwas, zu dem wir aufblicken können, etwas Wesenhaftem. Kunst heilt, auch Erziehungskunst.

Der Leser wird bemerken, dass ihn weder das Schwimmen gegen, noch das Schwimmen mit dem Strom in die Zukunft führt, sondern etwas ganz anderes. Und das hat mit der Kunst, dem Bildhaften, dem lebendigen Denken zu tun. Die Hände der modernen Seele werden neu gebildet, das in die Welt eingreifende, helfende Tun wird möglich, gerade auch in den aktuellen Krisen. Die deutsche und russische Fassung des »Mädchen ohne Hände« runden die Darstellungen des Büchleins ab und die Literaturangaben ermuntern, weiter zu forschen.

Wilfried Kessler: Das Mädchen ohne Hände. Eine Zeitbetrachtung. 84 S., kart., EUR 10,–, Books on demand, Norderstedt 2021