Permanente Reformation

Maja Rehbein

Luthers Thesenanschlag gab 1517 den äußeren Anlass zur Reformation. Das vorliegende Buch, das vierzehn öffentliche Vorlesungen über »Akzente christlicher Erneuerung« vereinigt, betrachtet »Reformation« hingegen als fortwährendes Geschehen.

Bei den vielen großartigen Gedanken, die hier behandelt werden, zu denen die erfüllte Gegenwart, das Geheimnis der Trinität oder die Kraft der Entwicklung im Kosmos (Wolfgang Schad) gehören, fällt eine Auswahl schwer. Ruth Ewertowski bezeichnet »das Christentum als die Religion des Schwellenübertritts«. Sie wagt sich an die größten Fragen: Freiheit, Verzeihen, Auferstehung … Fukushima wird als Gegenbild zur Auferstehung verstanden. Mit »Neue Gedanken – neues Gehirn« geht Sabine Bobert auf hochinteressante neurowissenschaftliche Ergebnisse im theologischen Kontext ein.

In »Kultorte heute« schildert Mathias Wais in geistig einfühlsamer Weise seine Beobachtungen an Jugendlichen, die sich an einer Straßenecke treffen. Kultorte ohne Kult – warum entsteht so etwas? Die Antwort von Wais ist einfach: »Auf Grund des spirituellen Defizits in unserer Gesellschaft …« Man merkt an Texten wie diesem: Die Umwelt ist tiefer als gedacht.

Milan Horák stellt mit »Regt uns Christen der Islam an oder auf?« die teilweise gemeinsame Entwicklung von Christentum und Islam dar, charakterisiert den Islam in geistiger Hinsicht und führt Versäumnisse zu Bewusstsein. Ein ausgleichender, entängstigender Beitrag. Von der Einzigartigkeit der Erde im Makrokosmos erzählt Wolfgang Held. Die Rohstoffe gehen zu Ende – was dann? Besinnung auf die Spiritualität! Es folgen atemberaubende Exkursionen in die Kosmologie.

Dieses Buch fasst die Quintessenz des Denkens mehrerer Personen zum Thema »Christentum in Entwicklung« zusammen. Wesentlich sind die allmähliche Veränderung der Wahrnehmung des Christentums und der Übergang vom erlernten Glauben zum Evidenzerlebnis, vom Glauben zum Wissen, wie der Herausgeber Ulrich Meier im abschließenden Beitrag betont.

Den meisten Texten merkt man an, dass sie mündliche Vorträge waren. Doch lesen sie sich einfacher und teilweise amüsanter als ausgefeilte Essays.

Es sei eine Aufgabe der Christengemeinschaft, sagte Rudolf Steiner bei ihrer Begründung, den Streit zwischen Naturwissenschaft und Christentum beizulegen. Das äußerst vielseitige, gehaltvolle Buch arbeitet in diese Richtung. Es geht uns alle an, am meisten die, die sich mit Grundlagen, Entwicklung und Zukunft des Christentums befassen wollen.

Ulrich Meier (Hrsg.): Christentum in Entwicklung: Anstöße zum Dialog über eine permanente Reformation, geb., 368 S., EUR 18,90, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2013