Quellort Kunst

Michael Kalwa

Der Leser begegnet Knierim als Schüler, wenn er als einer der »drei Knaben« in Mozarts »Zauberflöte« am Kasseler Staatstheater auftreten darf, als Student, der eigentlich eine musikwissenschaftliche Laufbahn anstrebt und selbst noch nichts ahnt von seiner später wegweisenden Tätigkeit als (Heil-)Pädagoge und Therapeut. Der Weg dahin wird ihm durch schicksalhafte Begegnungen mit Menschen gewiesen, die zu den noch heute bekannten Persönlichkeiten der anthroposophischen Bewegung der ersten und der beginnenden zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zählen. Dazu gehören Edmund Pracht und Lothar Gärtner, aus deren Zusammenarbeit die erste moderne Leier entstand. Dazu gehören aber auch Begegnungen mit Norbert Visser und Pär Ahlbom, die in Zusammenarbeit mit Knierim den Impuls für die Entwicklung des Choroi-Instrumentariums fassten und ausgestalteten.

Konsequent mündeten solche Begegnungen dann in die Gründung der »Freien Musik-Schule«, einem Zusammenschluss der genannten und etlicher weiterer Persönlichkeiten, die Studierenden im Rahmen eines »Wanderstudiums« ermöglichten, die großartigen Gedanken zur Musik wie auch die höchst originellen und bis heute lebendigen Ideen und musikalisch-improvisatorischen Ansätze ihrer Lehrer kennenzulernen und sie auf je individuellen Wegen für Pädagogik und Therapie fruchtbar werden zu lassen.

All das – und noch viel mehr – lässt uns Gerhard Beilharz in der Lektüre seines Buches miterleben. Dadurch wird es möglich, einen umfassenden Einblick zu erhalten nicht nur in die Biographie einer großen und wichtigen Persönlichkeit der Waldorfpädagogik, sondern auch in die Entwicklung dessen, was uns heute als musikalische Praxis in therapeutischen Institutionen und Waldorfschulen begegnet – vielleicht muss man sagen: begegnen sollte.

Gerhard Beilharz: Julius Knierim – Quellort muss immer die Kunst bleiben, 384 S., geb., EUR 39,–, edition zwischentöne, Weilheim 2019