Schule für Menschen

Walter Riethmüller

Die Selbstverständlichkeit ungehinderter Teilhabe an allen Bildungsangeboten verlangt nach pädagogischen Gesichtspunkten, praktikablen Konzepten adäquater Schullebensformen bis hin zu Möglichkeiten und Angeboten der Lehrerbildung in Studium und praxisbegleitender Schulung: Es scheint von »Waldorfseite« alles gesagt; auch dass Inklusion der Waldorfpädagogik sowieso von Natur aus inhärent sei – sich jedoch angesichts der differenzierten Profilierung der Waldorfschullandschaft eher in Spezialisierung, d.h. Sonderung in Schultypen, als in einer selbstverständlich die menschliche Vielfalt in allen ihren Möglichkeiten darlebenden Schulform abbildet. Einzelne Leuchttürme (z.B. in Berlin-Kreuzberg, in Emmendingen und im Windrather Tal) bildeten und bilden immer noch die Ausnahme, indem sie Inklusion als die selbstverständliche Form einer Waldorfschulgemeinschaft »leben«. Das Potential ist also vorhanden – es müsste nur gehoben werden. Bärbel Blaeser, Gründungslehrerin der Windrather Talschule (1995), lässt uns nun an dieser »Hebung« teilhaben. Von der Realisierung der Gründungsidee, die aus unmittelbarer Betroffenheit Ereignis wird, über die unterrichtspraktische »Erdung« wesentlicher Aspekte der anthroposophisch-pädagogischen »Menschenkunde« nimmt uns die Autorin mit in ihre »Unterrichts-Werkstatt«.

Inklusive Unterrichtsmethodik orientiert sich praktisch an einem Lernverständnis, welches den Schülern mit ihren unterschiedlichsten Begabungen und Interessen diverse Möglichkeiten zu einem Lernen aus freien Stücken anbietet. Dabei ist selbstverständlich allerdings nicht alles Gold, was glänzt: Die fünf an das Ende der entsprechenden Kapitel gesetzten biographischen Miniaturen von Schülerinnen und Schülern der Windrather Talschule künden von Erfolg, Bemühung und Scheitern, aber auch glückhaften biographischen Wendungen: Nichts ist sicher, alles muss immer neu bedacht, entwickelt, erfunden werden, um Kindern in ihrem »Welt-lern-willen« gerecht werden zu können bzw. ihn nicht ins Leere laufen zu lassen. Gelebte Inklusion ist nicht statisch und kann nicht als geprägte Form in andere Schul-Lebenszusammenhänge transferiert werden. Inklusive Schulkultur hängt mit der Haltung der Lehrer aufs engste zusammen; inklusive Methodik durch die Kunst des freien Erzählens, des Hören-Übens und des Schaffens von Handlungsräumen ist für die »Haltungsschulung« der eine Übungsweg. Der andere führt unweigerlich in eine ständige Reflexion, Neuorientierung, Praxisforschung, in eine »Werkstatt« also, die regelmäßig zusammen mit interessierten Kollegen anderer Waldorfschulen und mit Waldorf-Seminaristen sich auf den Weg macht, das inklusive Potential der Waldorfpädagogik zu entwickeln. Fazit: Inklusion ist immer ein Anfang, aber einer, das lehrt das engagiert, offen und ehrlich geschriebene Buch von Bärbel Blaeser, der es »in sich hat«: »Schule menschlich«, nicht mehr und nicht weniger.

Bärbel Blaeser: Schule menschlich. Das inklusive Potential der Waldorfpädagogik, 225 S., Softcover, EUR 14,–, edition waldorf, Stuttgart 2020.