Systematische Einführung

Gabriele Hiller

»Eine systematische Einführung«. – Kann es das geben? Nach mehr als vierzig Jahren Unterrichtserfahrung im Fach Kunstbetrachtung sowie der Erfahrung, dass Kunstunterricht einen anhaltend, ja zunehmend schweren Stand an Waldorfschulen hat, besteht ein starkes Bedürfnis das eigene Fach frisch zu sichten und zu reflektieren.

Der Autor liefert keinen historischen Abriss, sondern stellt die Frage, woraus Kunstpädagogik besteht und strebt an, »eine geordnete Vorstellung des ganzen Faches Kunst zu begründen«, daher der Begriff »systematisch« im Titel. Warum sollen sich alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Schulzeit mit Kunst schaffend und betrachtend befassen? Was trägt dieses Fach zu ihrem Menschsein bei? Das Buch richtet sich an Studenten, Seminarleiter und Lehrer. Allein die Literaturliste umfasst 19 Seiten, dazu kommen vertiefende Literaturhinweise am Ende jedes Kapitels, bestens geeignet für eigene Recherche und Schwerpunkte. Vergeblich habe ich allerdings nach dem von Wolfgang Auer herausgegebenen Sammelband »Trau Deinen Augen – Kunstbetrachtung an Waldorfschulen« gesucht, der es verdient hätte, hier mit aufgeführt zu werden.

Dennoch liegt hier eine extrem reichhaltige und methodisch inspirierende Darstellung bis in die Form hinein vor. Dem Leser wird durch die komprimierte Kürze und Präzision einiges abverlangt, aber jeder Satz führt tiefer in eine komplexe Thematik hinein, in ein Fachgebiet mit anspruchsvoller spezifischer Methodik. Was hier in neun Kapiteln entwickelt, befragt und in fünf Diagrammen kunstpädagogischer Systematik verdichtet wird, die auch gut geeignet sind, um die eigene Unterrichtspraxis immer wieder zu reflektieren, stellt sowohl für Anfänger als auch Experten eine große Bereicherung und Anregung dar.

Um nur wenige Fragestellungen zu nennen: Die drei Begründungshorizonte der Kunstpädagogik in ihrer Gewichtung – Kann man Kunst objektiv mit gut oder schlecht beurteilen? –

Wo befindet sich die Grenze zur Beliebigkeit? – Darf man korrigierend in Schülerarbeiten eingreifen? – Beherrschung der gestalterischen Mittel als Notwendigkeit oder Freiraum für künstlerischen Selbstausdruck schaffen? – Welches Menschenbild und Bildungsverständnis bildet die Grundlage des Unterrichts? – Krautz trennt Kunstschaffen und -betrachten nicht in Theorie und Praxis, wie an Schulen oder in Fortbildungen immer wieder zu erleben, sondern nimmt deren unterschiedliche Art der Praxis in den Blick, denn der Modus von »Aktivität und Rezeptivität« eignet beiden. »Ist das Aktive der Spontaneität das Gestalten, so liegt das aktive Moment der Rezeptivität in der Bereitschaft und der Spannung, Welt aufzunehmen« (zit. nach Menze). Vollends überzeugt hat mich sein die gesamte Darstellung durchziehender umfassender und anspruchsvoll-inspirierender Lern- und Bildungsbegriff. Mit dem Rüstzeug dieses Buches ist man bestens für jeden Diskurs über die Bedeutung des Kunstunterrichts gerüstet. Insofern wünsche ich diesem Buch zahlreiche Leser, nicht zuletzt an den Hochschulen und in der Bildungspolitik, wo die Weichen für die Zukunft dieses Faches gestellt werden.

Jochen Krautz: Kunstpädagogik – Eine systematische Einführung, 184 S., EUR 25,–, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2020