Unsichtbare Armut

Wolfgang Debus (Lensahn)

Die Autoren sind in erster Linie Wissenschaftler, bei denen viel Wissen über dieses Thema aufläuft. Martens und Schneider haben durch ihre leitenden Stellen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband täglich unmittelbare Erfahrungen mit dem politischen und amtlichen Umgang mit den Armen, den Versäumnissen, den Erfolgen und dem Verdrängen, dem Schönreden um die Nöte einer ständig wachsenden neuen Unterschicht. Und wir erfahren bald, dass ein einfaches Bild von Armut nicht ausreicht, um die bestehende Armut zu erfassen und ihr zu begegnen. Unser Blick wird auf eine weniger offensichtliche Armut gelenkt, die sich nicht mit Almosen zufrieden geben wird und zu Organschäden im gesellschaftlichen Organismus führt.

Viele neue Gruppen werden uns ins Bewusstsein gehoben, denen wir ihre Armut kaum anmerken, wenn wir ihnen im Alltag begegnen. Ihnen ist außer dem Fehlen eines äußerlich sichtbaren Zeichens eines gemeinsam: Sie können ihre leiblichen, gesundheitlichen, kulturellen und sozialen Grundbedürfnisse – und oft genug die ihrer Familienangehörigen – nicht mehr ausreichend erfüllen, weil ihnen die materiellen Mittel dazu fehlen.

Mini-Entlohnte gehören dazu, wie Alleinerziehende, Rentner, (Langzeit-) Arbeitslose, Menschen, die in eine Schuldenfalle geraten sind. Junge wie alte Menschen, denen der Zugang zu einer angemessen entlohnten Arbeit versperrt ist – und damit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Die Untersuchungen und Beschreibungen beziehen sich ausschließlich auf Deutschland, an wenigen Stellen unterstrichen durch Deutschlands (schlechten) Stand im europäischen oder internationalen Vergleich. Wirtschaftlich an der Spitze und gleichzeitig auch in der Armutsentwicklung? Weniger Arbeitslose und trotzdem mehr Armut? Das sind in Deutschland keine Widersprüche, sondern erklärbare Zusammenhänge – leider.

Die Ahnung, dass es hier um komplizierte Zusammenhänge geht, täuscht nicht. Wir alle sind gefragt, an sozial tragfähigen Verhältnissen mitzuwirken.

Dazu müssen wir die Zusammenhänge kennen und müssen uns auch durch eine solche Kost beißen, die stellenweise wissenschaftlich nüchtern daherkommt und doch viele Einsichten für uns bereithält, die aufregend im besten Sinne sind, damit wir diesen Missständen, die heute unseren Nachbarn, morgen schon uns treffen können, mit besten Kräften entgegenwirken.

Ulrich Schneider (Hrsg.): Kampf um die Armut – von echten Nöten und neoliberalen Mythen, Klappenbroschur, 208 S., EUR 14,99, Verlag  Westend, Frankfurt 2015