Wegweiser für die Gegenwart

Johannes Roth

Hoch ist die Zahl derjenigen Druckerzeugnisse, welche ihren Lesern kaum etwas abverlangen. Gerade umgekehrt geht es dem Leser bei der Lektüre des neu herausgegebenen Tagebuchs von Dag Hammarskjöld (1905-1961), des ehemaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen (UN). Denn die verschieden gestalteten Textbruchstücke der Einträge fordern vor allem dies: langsam lesen. Wir erleben, wie sich Worte aus dem Neuen Testament, aus dem Gedankenschatz der christlichen Mystiker und aus der angelsächsischen und skandinavischen Lyrik in der Seele des Verfassers entfaltet haben, wie sie Licht auf seine (jeweils nur angedeuteten) Tageserlebnisse werfen. Bei allem ist die Grundthematik eine unerbittliche Selbstprüfung, eine fortwährende Gewissensbildung in der Auseinandersetzung mit den Mächten, die sich der Menschenentwicklung und jedem gemeinschaftlichen Tun entgegenstellen: Eitelkeit, Ehrgeiz, Lüge. Auch wenn einzelne Passagen schwer verständlich sind, da uns der Kontext fehlt, leuchtet das Überpersönliche immerfort und überall durch.

Das Buch enthält eine gediegene Einleitung von Manuel Fröhlich und einen Anhang, der sich im Vergleich zu früheren Ausgaben durch eine größere Anzahl von Nachweisen auszeichnet. Den auch hier verwendeten Titel »Zeichen am Weg« hat Hammarskjöld selber für die Tagebücher eingeführt. Er könnte treffender und sinngemäßer nicht sein. Zu wünschen ist, dass durch die Neuherausgabe, die Moralität Hammarskjölds hilft, einer weiteren Generation von Lesern den Blick für das Wesentliche zu schärfen. 

Dag Hammarskjöld: Zeichen am Weg: Das spirituelle Tagebuch des UN-Generalsekretärs, geb., 225 S., EUR 19,90, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2011