Zwei Zugänge zur Menschenkunde

Elmar Schroeder

Mit »Menschenkunde verstehen« wollen die beiden Mannheimer Seminarkollegen Albert Schmelzer und Jan Deschepper den Zugang neu anregen. Mit der frei lassenden Form des Essays erheben sie nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und Berücksichtigung aller Themenbereiche. Die Darstellung ist zweigeteilt: Die Einleitung und die Vorträge 1 bis 9 sind vom »Kulturwissenschaftler« Albert Schmelzer bearbeitet, die nachfolgenden vom »Naturwissenschaftler« Jan Deschepper. Den Autoren kommt ihr unterschiedlicher Bildungshintergrund zugute, weil ihre unterschiedlichen Kompetenzen in alle Kapitel eingeflossen sind.

Es gibt im Kontext der Menschenkunde so etwas wie »latente Fragen«, die man lebenslang bewegt, wie etwa die Frage der motorischen Nerven. So wendet man sich neugierig und gespannt dem Werk zu.

Schmelzer argumentiert hierzu einerseits aus der Waldorfpädagogik und Anthroposophie heraus, rezipiert aber auch aktuelle naturwissenschaftliche Literatur aus der Neurophysiologie. Der Autor hat sich kenntnisreich in die naturkundliche Anthropologie eingearbeitet. Die Essays strahlen Lebendigkeit und Authentizität aus, wenn von persönlichen Unterrichtserfahrungen und Begegnungen mit Studenten berichtet wird. Mit frischem Blick wird die anthropologische Faktenlage geschildert; diese wird dann durch die kulturwissenschaftliche Perspektive bereichert und vertieft.

Deschepper hat in den von ihm geschriebenen Essays mit kongenialer Grundhaltung gearbeitet: Kenntnisreich und anschaulich schildert er anthropologische Tatsachen. Durch Hinzuziehung der Kulturwissenschaften werden diese vertieft und menschlich. Deschepper arbeitet methodisch, wo immer das aus der Sache heraus angezeigt ist. Er folgt dabei dem Hinweis Steiners, dass die Dreigliederung des Organismus tragendes Gestaltungsprinzip ist und nutzt dieses als Verständnis- und Erkenntnishilfe.

Zu vielen Aspekten finden sich Literaturangaben, so dass der Leser zu weiterem Studium angeregt wird. Die Abbildungen, als Verständnishilfe sehr willkommen, sind leider ausnahmslos kleinformatig und grau-schwarz ausgeführt. Hier wäre mehr Großzügigkeit hilfreich gewesen.

»Menschenkunde verstehen« ermöglicht einen neuen Zugang zur »Allgemeinen Menschenkunde«. Nicht überfrachtet, dafür fachlich und anthroposophisch höchst fundiert. Dass dabei häufig die anschaulich geschilderten Praxiserfahrungen der Autoren einfließen, gereicht der Darstellung zum Vorteil. Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich wieder der Menschenkunde zuwenden wollen.

Albert Schmelzer, Jan Deschepper: Menschenkunde verstehen. Vierzehn Essays zu Rudolf Steiners Vorträgen zur »Allgemeinen Menschenkunde«, 264 S., Softcover, EUR 24,–, edition waldorf, Stuttgart 2019