Schöne stille Örtchen

Ute Hallaschka

Reinigung, Kosten, Ärger, Reparatur sind das eine. Das andere ist die Frage: Wie die Schüler dazu bringen, mit diesen Räumlichkeiten achtsamer umzugehen? Auf Elternabenden wurde der nicht mehr hinnehmbare Zustand diskutiert – die Vorschläge reichten von Strafputzen bis Videoüberwachung – letzteres ein aus der Not geborener Gedanke, aber illegal.

Die Schüler bekamen Wind davon und konnten die Hilflosigkeit der Erwachsenen nicht mehr ertragen Die 13. Klasse der Waldorfschule Diez fasste den Entschluss, aus dem Ort der Notdurft ein Kunstwerk zu machen. Sie wollten ihr Abiturthema »Die Macht der Bilder« ins konkrete Werk umsetzen. Die Vorbereitungen liefen über Wochen in aller Heimlichkeit, denn es sollte eine Überraschung werden. Die gesamte Klasse hielt dicht. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde ein profaner unschöner Ort künstlerisch umgestaltet – Christo und Banksy ließen grüßen. Die Schüler verwandelten mit Witz, Charme und Liebe zum Detail die Toilettenräume über Nacht in zauberhafte Wohnräume mit Fußmatten, Briefkästen und Klingelschildern vor der Tür – es waren die Wohnungen von Kevin und Chantal. Drinnen Stehlampen, Kissen, gemütliche Sitzgelegenheiten, Bücherregale und ein funktionsfähiger Fernseher bis zum kompletten Schlafsofa.

Nie hat man so viele Schüler zur Toilette gehen sehen wie an diesem Tag. Die Reaktion war einhellige Begeisterung auf allen Fluren. Nur einer der Kleinen aus der ersten Klasse fragte bekümmert, wo er denn zur Toilette gehen solle – hier wohne doch jetzt der Kevin?

Natürlich ist alles längst wieder abgebaut, doch nachhaltig ist die Wirkung: Die Toiletten sind legendär geworden, Gegenstand menschlicher Erzählung. Wenn solche Beispiele Schule machen, werden auch hässliche Orte wieder bewohnbar.

Zur Autorin: Ute Hallaschka ist freie Autorin.