Europa-Umweltschule Maschsee

Jörg Bürmann-Janssen

Wer das weitläufige Schulgelände am Maschsee betritt, staunt über die grüne Idylle inmitten der niedersächsischen Landeshauptstadt: Der biodynamisch bewirtschaftete Schulgarten mit Gewächshäusern und Klassenbeeten beheimatet Bienen, Hühner und Schafe, im pittoresken Fachwerkhäuschen unweit der Abstellflächen für Räder und Roller ist die Naturwerkstatt untergebracht, und – nur einen Steinwurf entfernt – beginnt das schuleigene »Wäldchen «, das dem Hort als Außenbereich dient.

Früh übernehmen die Schüler hier Verantwortung für ihre direkte Umwelt – etwa im Rahmen der Tierversorgung durch die jüngeren oder der Geländepflege durch die älteren Klassen. »Das alles schafft im Zusammenspiel mit der Thematisierung im Unterricht Bewusstsein für Natur, deren Pflege und Gestaltung, aber auch ein Gefühl für die ökologischen Kreis- und Jahresläufe, die von Beginn an integraler Bestandteil unseres Lehrplans sind«, sagt Astrid Homeyer, Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit. In der Tat, die Waldorfschule am Maschsee genießt in der hannoverschen Schullandschaft in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz einen guten Ruf. Das wohl bekannteste Beispiel für nachhaltige Entwicklung ist die Firma »Ganz real«, eine eingetragene Genossenschaft, in der sich die Schüler des Realzweigs auf verschiedenen Feldern – so etwa mit dem Schülerladen, der Textil- und der Fahrradwerkstatt – zum Wohle der Schule engagieren und dabei alltagsnah ökologisches, nachhaltiges und soziales Wirtschaften lernen. Zahlreiche Auszeichnungen hat »Ganz real« dafür erhalten – so 2009 den UNESCO-Preis »Bildung für nachhaltige Entwicklung«, 2012 das Qualitätszertifikat für Nachhaltigkeit der Landesschulbe­hörde in der Kompetenzstufe Silber und 2014 dann in Gold.

Seit 2016 darf man sich hier »Umweltschule in Europa/ Internationale Agenda 21-Schule « nennen. Die öffent­liche Anerkennung ist wichtig. Das weiß auch Lehrerin Ingeborg Petersen, die seit über zehn Jahren den Erfolg der Schüler­genossenschaft verantwortet: »Um die Auszeichnungen bemühen wir uns vor allem, weil die Schüler dafür den geschlossenen Kosmos ihres Unternehmens verlassen müssen und lernen, ihre Projekte öffentlich darzustellen. Zugleich hoffen wir natürlich, dass die Strahlkraft unseres Konzepts inspirierend auf andere Teile der Schule wirkt.«

Wer nachhaltig sein will, muss investieren

Denn es ist längst nicht alles im grünen Bereich, obwohl die vielen Auszeichnungen dies nahelegen. Tatsächlich genügt es aber, wenn eine sogenannte Umweltschule ihre Nachhaltigkeit in zwei Kategorien – hier Schulgarten und Real-Laden – unter Beweis stellt. Dann darf sie mit der offiziellen Bezeichnung in der Öffentlichkeit für sich werben. Doch allen ist bewusst: Das ist nicht genug. Und so hat die Schule in den vergangenen Jahren umfangreich investiert, um die einzelnen Gebäude auf dem Gelände nachhaltig und umweltbewusst zu sanieren: Umstellung auf Energiesparlampen oder LED-Leuchtmittel, automatisierte Heizungssteuerung, Austausch von Fenstern und Einsatz von Fernwärme. Und gerade hat die Schule Recyclingpapier eingeführt.

»Grundlage unserer Investitionen war ein Energiegutachten, mit dessen Hilfe wir nachhaltige Einsparungen erzielen konnten «, erläutert Detlev Schiewe, Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der Schule. »Andere Vorschläge wiederum hatten jedoch eine Amortisationszeit von 40 bis 50 Jahren, zum Beispiel für die Innendämmung unseres Altbaus. Solche Investitionen haben wir nicht umgesetzt, auch wenn sie ebenfalls einen klima­freundlichen Beitrag leisten würden. « Insgesamt will die Schule im Zeitraum 2015 bis 2025 rund sechs Millionen Euro für Instandhaltungsmaßnahmen ausgeben. 40 Prozent davon entfallen auf Energieeinsparungen, schätzt Schiewe. »Unsere Investitionen sind bereits beträchtlich, aber nicht zuletzt unter dem Eindruck der gegenwärtigen Klimadebatte werden diejenigen Stimmen lauter, die uns bei diesem Thema noch stärker in die Pflicht nehmen wollen. « Er meint die Fridays for Future-Bewegung, die sich innerhalb kürzester Zeit auch in der Waldorfschule als feste Einflussgröße etabliert hat. Das bestätigt Klassenlehrer Marcel Lorenz: »Meine Wahrnehmung ist, dass viele Schüler deutlich empfindsamer geworden sind, was Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen anbelangt. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, wie die Frage, ob die Kinder sich nun Schnellhefter aus Pappe kaufen sollen, um Plastik zu vermeiden. Allerdings gebe es, sagt Lorenz, auch diejenigen, die sich nicht engagieren oder freitags demonstrieren, weil ihre Eltern auch weiterhin in den Urlaub flögen, sodass jeglicher Beitrag verpuffen würde.

Lasse Ludewig (11. Klasse) engagierte sich von Anfang an bei Fridays for Future und hält seine Schule bei aller Kritik in Einzelfragen bereits für recht vorbildlich beim Umweltschutz: »Was wir zum Beispiel sehr gut machen, ist das Essen der Schulküche – regional, fleischarm und mit einem Bioanteil von über 60 Prozent«, lobt der Schüler. »Bedenklich finden wir hingegen, dass die Schule noch immer keinen Ökostrom bezieht.« Warum die Schule diesen vergleichsweise einfachen Schritt bislang nicht gegangen ist, erklärt Detlev Schiewe mit Blick auf den engen Spielraum des Haushaltes – konventioneller Strom sei einfach günstiger. Tatsächlich verfügt die Schule sogar über eine kleine Photovoltaik-Anlage. »Eine zentrale Hürde ist für uns die Unterfinanzierung der niedersächsischen Schulen in freier Trägerschaft. In anderen Bundesländern gibt es hohe Sachkostenzuschüsse, zum Beispiel für Schulneubau und -erhaltung – wir bekommen nichts.« Zugleich könne das Schulgeld nicht beliebig angehoben werden. »Also geht theoretisch jeder Euro, den wir in Nachhaltigkeit investieren, zu Lasten der Lehrergehälter.« Schiewe rechnet vor: »Würden wir eine ähnliche Finanzhilfe bekommen wie etwa eine Waldorfschule in Hamburg, könnten wir das Schulgeld locker um zehn bis fünfzehn Prozent senken und gleichzeitig die Lehrergehälter um zehn bis fünfzehn Prozent erhöhen.« Insofern müsse die Schule ihre Ausgaben vor dem Hintergrund eines Wettbewerbs der Schulen um Lehrpersonal priorisieren, wenn sie ihrem Bildungsauftrag nachkommen wolle.

Ökologischer Musterpark?

Die Schule als ökologischer Musterpark ist aber auch nicht erklärtes Ziel. Tatsächlich tauchen die Begriffe Nachhaltigkeit oder Umweltschutz noch nicht einmal im Leitbild auf. »Das müssen sie auch nicht. Unsere Schule war immer schon nachhaltig, auch als es der Zeitgeist noch nicht verlangte«, sagt Pressesprecherin Homeyer, »aber die Notwendigkeit, in diesem Sinne umfassend tätig zu werden, ist zweifelsohne deutlich gestiegen.« Genauso wichtig sei es aber, das Bewusstsein für eine nachhaltige Lebensführung insgesamt zu stärken. Das findet auch Tonja Mannstedt, Mutter einer zwölfjährigen Tochter: »Das Thema muss fest in der schulischen Ausbildung verankert werden, denn dieses Wissen ist von zentraler Bedeutung angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel. Unsere Kinder müssen befähigt werden, aktiv die Zukunft mitzugestalten, um als Erwachsene zu einer gerechten, umweltverträglichen Entwicklung beizutragen.« Klassenlehrer Marcel Lorenz sieht hiergerade »die Waldorfschule in der Verantwortung, eine gesellschaftliche Vorbildfunktion einzunehmen«.

Alles auf Nachhaltigkeit also? Ja. Detlev Schiewe gibt aber zu bedenken, »dass wir die anderen brennenden Themen, die unsere Gesellschaft zur Zeit bewegen, nicht aus den Augen verlieren dürfen, ich denke hier vor allem an sämtliche Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Auch diesen sozialen Herausforderungen müssen wir uns in der Schule umfassend und konsequent stellen.«

Zum Autor: Dr. Jörg Bürmann-Janssen ist Soziologe und engagiert sich im Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit der Freien Waldorfschule Hannover-Maschsee.