Wie unterrichte ich stressfrei? Tipps aus der Praxis

Susanne Speckenbach

Kann man auch stressfrei unterrichten? – Wenn der Unterricht nicht gut läuft, ist das sehr belastend für den Lehrer, denn eigentlich will jeder Mensch das gut machen, was er tut. Wenn ich also in meinen Anfangsjahren aus einer Klasse kam, in der nicht alles so ging, wie ich mir das bei der Vorbereitung gedacht hatte, dann lastete das schwer auf meiner Seele und ich musste mich davon ganz bewusst frei machen, bevor ich wieder in diese Klasse ging oder auch nur in die nächste Stunde in eine andere Klasse. Das Schlimmste waren die Vertretungsstunden, in denen ich die Namen der Schüler nicht kannte und mich dadurch ihrem guten Willen ausgesetzt fühlte. Wie schön, dass das inzwischen anders geworden ist! Für Gespräche, Hinweise und Tipps auf dem Weg dahin bin ich vielen Kollegen dankbar. 

Was habe ich seitdem verändert?

1. Es hilft mir, zu akzeptieren, was ist. Der Unterricht braucht zum Beispiel montags einen längeren Anlauf als an anderen Tagen. Also lasse ich vom Wochenende erzählen, bevor wir richtig beginnen, und versuche dabei, durch unser Tun die Kinder an die erübten Verhaltensformen des Unterrichts zu erinnern. – »Ein Eichhörnchen!« – nun hat es keinen Sinn, die Kinder am Platz halten zu wollen. Also dürfen alle ans Fenster laufen und gucken und ich erzähle ein wenig davon, wie Eichhörnchen leben. Wenn es schneit, muss auch dafür Raum sein. Den zu geben, habe ich mich am Anfang nicht getraut. Dadurch, dass ich inzwischen selbst entspannt bleibe, überträgt sich das auf die Klasse, die schneller wieder zu der Ruhe kommt, die wir zum Arbeiten brauchen.

2. Rhythmus ersetzt Kraft. Der Aufbau des Unterrichts wird zu einem Sicherheit gebenden Ablauf, der nie ganz gleich, aber sehr ähnlich vonstatten geht. Die Variation der einzelnen Elemente ist hier Labsal und Kunst zugleich.

3. Eine sehr gute Vorbereitung des Stoffs und der Methoden bewirkt eine innere Ruhe, die sich ebenfalls auf die Klasse auswirkt. Bin ich zu Hause in dem, was wir uns in den nächsten Wochen erarbeiten wollen, so kann ich Abweichungen von meinem Plan zulassen, ohne in Stress zu kommen. Dazu gehört auch, sich am Tag zuvor zu fragen: »Was mache ich, wenn Mäxchen nicht bei seinen Aufgaben bleiben kann?« oder Ähnliches. Die sorgfältige Vorbereitung lässt mich auch sehr gut begründen, warum ich was von den Schülern fordere. Den jüngeren reicht oft meine Sicherheit darin, den älteren kann ich überzeugend darlegen, warum ich es zum Beispiel sinnvoll finde, dass sie die Achtklassarbeit von Hand schreiben. Das Gefühl und die Wahrnehmung, dass die Lehrerin sich etwas gut überlegt hat, gibt dem Selbstbewusstsein des Schülers Auftrieb: »Ich bin ihr wichtig, sie nimmt uns ernst.«

4. Die Kinder sind ein unmittelbarer Spiegel für die Stimmigkeit meines Unterrichts. Werden sie unruhig, ist das ein Zeichen dafür, dass ein Methodenwechsel angesagt ist. Mit der Zeit bekommt man heraus, wie man das schon vorher spürt, ohne dass die Unruhe wirklich auftreten muss. Die Wahrnehmung der Stimmung in der Klasse ist dabei unglaublich wertvoll. Das gilt genauso in der Mittelstufe, wenn das Seelische schon astralischer wird. Die Schüler sagen mir über meine Übfelder so viel, dass ich nur dankbar sein kann, wenn ich ihre Sprache verstehe und das aufnehmen kann, was sie mir über meine fehlende Geduld oder meine Art mitteilen, sie anzu­sprechen.

5. Besonders bei den jüngeren Kindern macht der Sitzplan sehr viel aus, wie und ob die Kinder sich von mir angesprochen fühlen oder nicht. So wie Rudolf Steiner es uns in den »Seminarbesprechungen« empfiehlt, setze ich nach Temperamenten und halte aus, dass in der ersten Zeit die Unruhe bei den Sanguinikern höher ist, als ich möchte. Es ist eine hohe Kunst, das Haupttemperament der Kinder zu erkennen und den Sitzplan so zu komponieren, dass alle sich wohl fühlen und zu einer Arbeitshaltung finden. Es lohnt sich, das auszuprobieren.

6. Für mich gehört auch das freie Erzählen des Erzählstoffs dazu, den Kontakt zur Klasse zu pflegen. Denn das freie Erzählen schafft das ganz anders als das Vorlesen.

8. Sollte gar nicht fruchten, was ich tue, und die Klasse tobt, dann hilft mir die Wahrnehmung des hinteren Raums. Ich stelle mir eine Lichtsäule hinter mir vor, in die ich nach einer Weile hineintrete. Damit komme ich zu mir und muss dem Toben seelisch nicht folgen.

9. Manche Kinder stellen tiefere Fragen an den Lehrer. Manchmal hilft mir, den richtigen Umgang damit zu finden, indem ich mir diese Kinder abends in ihrem idealischen Sein vor die Seele stelle, und morgens wahrnehme, wie sie sich als Rabauken gebärden. Das schützt mich auf eine geheimnisvolle Art und hilft damit auch ihnen.

Zur Autorin: Dr. Susanne Speckenbach ist Klassen- und Religionslehrerin an der Freien Waldorfschule Freiburg-Wiehre.