Schuleltern im Corona-Alltag

Erziehungskunst | Zu Beginn eine persönliche Frage: Wie geht es Ihnen als Mutter in der Corona-Zeit? Was erleben Sie an sich und an ihren Kindern? Hat sich das Verhältnis zur Schule oder zu den Lehrern verändert?

Anke Pasternak | Gut, danke. So viel hat sich nicht verändert. Meine Töchter sind ja bereits 18 und 20, da ist man als Mutter auch jetzt in der Corona Zeit eher als Unterstützerin im Hintergrund. Ich versuche, ihnen eine angenehme und positive Atmosphäre zu Hause zu schaffen, was mir hier auf dem Land mit Haus und Garten glaub ich ganz gut gelingt. Wir sprechen viel miteinander, über Umwelt, Politik, aber auch über die Zukunft, die durch die Situation viele Unsicherheiten bei meinen Töchtern aufwirft. Für beide ist im letzten Jahr einiges nicht so gelaufen, wie es geplant war. Auslandsaufenthalte platzten, in der Schule fand ein großer Teil des Waldorfabschlusses, wie Kunstreise und Eurythmieaufführung nicht statt. Wie sieht der Start ins Studium aus? Wie werden die Abiturprüfungen ablaufen, bleibt die Schule offen, kann man danach ins Ausland? Meine große Tochter hat grad ihr Studium in Tübingen aufgenommen, aber die Uni noch nie von innen gesehen! Da müssen die jungen Menschen mit vielen Umständen zurechtkommen. Aber sie meistern dies erstaunlich gut.

Auf das Verhältnis zu unserer Schule und zu den Lehrern hat die Situation natürlich auch gravierende Auswirkungen. Die Schüler bewegen sich in der Schule in streng vorgegebenen Zonen mit so wenig Kontakt wie möglich zu den anderen Klassen und wir Eltern dürfen nur nach vorheriger Anmeldung das Gelände betreten. Somit findet kein spontaner Austausch mit den Lehrern statt, da man sich nicht begegnet.

EK | Welche Sorgen beschäftigen die Eltern in Anbetracht der Corona-Maßnahmen bundesweit? Welche Erwartungen gibt es an die Lehrer und an die Schulen?

AP | Ich denke, eine der Sorgen ist, was die Situation mit den Schulen und der Pädagogik macht. Unsere Schulen leben ja ganz stark von der Gemeinschaft, die sie trägt. Diese Gemeinschaft ist momentan nicht da und nicht erlebbar. Normalerweise erlebe ich diese bei Monatsfeiern, Klassenspielen, Konzerten, Vorträgen, Präsentationen und gehe mit dem starken Gefühl nach Hause, dass dies der richtige Ort mit den richtigen Menschen und der richtigen Pädagogik für meine Kinder ist und ich bin wieder äußerst motiviert, mich weiter für diese Gemeinschaft zu engagieren. Dies findet alles nicht statt, nur in anderer Form und unter vielen Vorgaben. Hält das unsere Schule aus? Wie gestalten die Lehrer ihren Unterricht, dass weiterhin mit allen Sinnen gelernt werden kann und er nicht auf reine Wissensvermittlung reduziert wird? Das völlig uneinheitliche Maßnahmenbild, das wir im Frühjahr zu verkraften hatten, hat die Bundeselternkonferenz bereits im Juni dazu veranlasst, eine zuverlässige und nachvollziehbare Planung durch Einbezug der Pädagogen und Eltern in alle Ebenen der Entscheidungsprozesse zu fordern.

EK | Wie beeinflussen die Corona-Maßnahmen die Zusammenarbeit von Lehrern und Eltern?

AP | Wir beobachten eine sehr unterschiedliche Beeinflussung der Zusammenarbeit. An Schulen, wo auch schon vorher ein reger Austausch und eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Eltern herrschte, gelingt dies auch jetzt. Aber anderswo, wo auch schon vorher wenig zusammengearbeitet wurde, geschieht dies nun auch nicht. Wir können aber als Eltern dafür sorgen, dass der Zusammenhalt bleibt, indem wir Möglichkeiten einrichten, um im Gespräch zu bleiben, sei es durch digitale Elternabende, Einbezug der Vertrauenskreise, Benennung von Ansprechpartnern aus der Eltern- oder Lehrerschaft oder speziell eingerichtete Mailgruppen, wo man sich mit seinen Sorgen und Nöten hinwenden kann. Im Gespräch bleiben ist das Wichtigste.

EK | Einerseits gibt es eine breite Zustimmung bezüglich der Corona-Maßnahmen, aber auch zunehmend Kritik. Die Meinungen dazu gehen zum Teil sehr auseinander. Wie stehen sie als Vertreterin der Elternschaft diesem Zwiespalt gegenüber?

AP | Als Elternvertreterin versucht man ja immer, sich in alle Meinungen und Sichtweisen einzudenken. Wir Elternvertreter sind aber keine Anwälte einzelner Interessengruppen und wir sollten auch nicht versuchen, unsere eigenen Interessen durchzusetzten. Dazu müssen wir unsere Rolle klar definieren. Das Wohl der Kinder steht an erster Stelle. Wenn wir Eltern und Lehrer unsere Vorbildrolle jetzt gemeinsam gut ausfüllen, gibt dies den Kindern Sicherheit und sie fühlen sich in der Schule gut aufgehoben. Unsere konsequente Umsetzung der Maßnahmen gibt unseren Kindern Sicherheit. Da sind Aktionen wie Tragen von Häkelmasken und Bezeichnungen wie »Maulkörbe« meiner Meinung nach nur verstörend und kontraproduktiv.

EK | Der Erziehungsauftrag ist in erster Linie Elternsache. Jeder Lehrer unterliegt öffentlichen Regelungen. Corona hat die »Spielregeln« verändert. Sehen Sie Auswirkungen für die Waldorfschulen und die Pädagogik?

AP | In den künstlerisch-handwerklichen Fächern gibt es sicherlich momentan Auswirkungen. Da ist von den Pädagogen viel Phantasie gefragt, wie man dies gestaltet. Doch manches werden wir vielleicht auch zukünftig übernehmen. Was wäre das auch für eine Pädagogik, die mit Krisen nicht umgehen könnte? Zum Beispiel wurde an meiner Schule die diesjährige Einschulungsfeier durch die geringe Gästezahl als sehr harmonisch und innig für die Kinder wahrgenommen, so dass man überlegt, ob dies auch künftig so durchgeführt wird. Es gibt bestimmt viele solche Beispiele. Aber weitreichende Auswirkungen sehe ich nicht. Wenn die Pädagogen flexibel und phantasievoll die momentane Unterrichtsituation gestalten und wir Eltern dies mittragen und vertrauensvoll unterstützen, werden wir die Zeit gut überstehen.

EK | Waldorflehrer und ihre Schulen stehen in einem pädagogischen, sozialen und ethischen Konflikt. So kann zum Beispiel Waldorfpädagogik mit Masken nicht ohne Einschränkungen praktiziert werden. Wie können Eltern die Lehrer und Schulen unterstützen, um gemeinsam andere Wege zu gehen? Kennen Sie Beispiele?

AP | Als Erstes können wir Eltern die Lehrer unterstützen, indem wir die Verordnungen, auf die die Schule keinen Einfluss hat, nicht torpedieren. Wir können zu Hause unseren Kindern die Maßnahmen erläutern und positiv mit ihnen umgehen. Man zeigt den Kindern nicht, was alles nicht geht, sondern was alles trotzdem geht! Ausflüge machen, neue Ecken erkunden. Ich habe von einem Vater gelesen, der während des ersten Lockdowns in Berlin mit seinen Kindern überall spazieren gegangen ist, wo sie noch nie waren. Die Lehrer können mit den Eltern einen Austausch über die menschenkundlichen Grundlagen anbieten, der die pädagogischen Schwerpunkte deutlich macht. Dadurch würde das nötige Vertrauen erleichtert werden. Für die ausgefallenen Herbst- und Martinimärkte höre ich von vielen Aktionen, Onlineshops oder Weihnachtsbaumverkauf. Bauaktionen für die Schule werden auf befreundete Höfe ausgelagert und Elternratssitzungen werden per Zoom durchgeführt. Aus dem Unterricht wurde mir berichtet, dass Klassenspiele möglich wurden, indem man in vielen Räumen mit vielen Stationen spielte. Vieles findet im Freien statt, Chorproben, Eurythmie. Die digitalen Medien werden mit Unterstützung technikaffiner Eltern eingesetzt. Da haben z.B. Schüler per Skype für den Geschichtsunterricht Interviews in Kanada mit Mitgliedern eines Indianerreservates durchgeführt oder eine andere Klasse recherchierte die Schicksale der Namensträger auf den »Stolpersteinen«. Hier sollten die Pädagogen noch mehr die Fähigkeiten ihrer Elternschaft nutzen und keine Hemmungen haben, auf uns zuzugehen und um Unterstützung zu bitten. Hier sehe ich in den Kollegien leider oft eine zu große Abschottung und eine unbegründete Angst.

EK | Pädagogik ist eine Kunst der Beziehung zunächst zwischen Schülern und Lehrern, dann aber auch mit den Eltern. Zentral ist das Vertrauen, das von der Corona-Krise herausgefordert wird. Welches Verhalten stärkt das Vertrauen, ohne dabei die unterschiedlichen Meinungen zu nivellieren?

AP | Hier fällt mir als Erstes wieder unsere Vorbildfunktion als Eltern gegenüber unseren Kindern ein. Vertrauensstärkend ist momentan für uns Eltern Transparenz. Wenn wir gut über alle Maßnahmen und Situationen an der Schule informiert werden und wenn man eine Anlaufstelle hat, wo man mit seinen Fragen und Sorgen hin kann, ist das sehr hilfreich. Elternvertreter können für eine Entlastung sorgen, indem sie Möglichkeiten zum Austausch einrichten, wo alle Meinungen gehört werden.