Markus Stettner-Ruff freut sich in seinem Artikel über die Aussetzung der Wehrpflicht, die in Deutschland am 1. Juli in Kraft getreten ist. Er nimmt sie zum Anlass, auch die Abschaffung der Schulpflicht zu fordern. Von einem Dozenten an einer Fachschule für Sozialpädagogik erwartet man, dass er sich in einem solchen Artikel mit den Gründen, die heute für eine allgemeine Schulpflicht sprechen, auseinandersetzt. Davon ist jedoch nicht die Rede. Ich habe mich gefragt: Wie viele Eltern fühlen sich denn Jahr für Jahr von der allgemeinen Schulpflicht unter Druck gesetzt und würden ihre Kinder lieber nicht in die Schule schicken?
Da es hierüber wahrscheinlich keine statistisch relevanten Umfragen gibt, kann man nur Vermutungen anstellen:
- Fast alle Eltern würden ihr Kind auch ohne das Bestehen einer Schulpflicht in eine Schule schicken, weil ihre Kinder dort etwas lernen sollen. Sie akzeptieren aus inhaltlichen Gründen das Prinzip der Arbeitsteilung auch im Bildungsbereich und erwarten von der Schule Professionalität in der Kunst des Unterrichtens.
- Einige wenige Eltern weigern sich, ihre Kinder in eine Schule zu schicken, weil sie aus religiösen Gründen mit den Lerninhalten nicht einverstanden sind. Sie sorgen selbst für die Bildung ihrer Kinder. In Deutschland müssen sie dann einen Kampf mit den Behörden ausfechten und womöglich Bußgelder zahlen oder Strafen erdulden. Sie haben in der Tat einen Gewissenskonflikt mit der allgemeinen Schulpflicht.
Solche Fälle ließen sich jedoch auch ohne Abschaffung der Schulpflicht regeln. Den staatlichen Schulämtern vor Ort könnte man einen Ermessensspielraum einräumen, die Eltern zu beraten und darüber zu entscheiden, ob denn das »Homeschooling« solide ist und die Kinder angemessen gefördert werden.
- Es gibt aber leider auch Eltern, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind und sich um deren Bildung nicht kümmern. Hier hat die Gesellschaft die Aufgabe, für die (Schul-) Bildung Sorge zu tragen. Genau dies soll die allgemeine Schulpflicht gewährleisten.
Anstatt die allgemeine Schulpflicht anzuprangern und die Schule als Lernort grundsätzlich in Frage zu stellen, halte ich es für sehr viel notwendiger und sinnvoller, dass in einer Zeitschrift wie der »Erziehungskunst« gerade auch für die Kinder aus dem sozial schwachen Milieu ein Problembewusstsein entwickelt wird und von pädagogischen Erfolgen (oder Misserfolgen) berichtet wird, zumal viele Grundschullehrer mit Recht beklagen, dass sie bei der Betreuung dieser Kinder von den Waldorfschulen alleine gelassen werden. Dazu gehört natürlich insbesondere die Beschäftigung mit der Frage: Wie muss man Schule als Lernort gestalten, damit man diesen Kindern gerecht werden kann? Mit der ersatzlosen Abschaffung der Schulpflicht sicher nicht.