Die Komplementärmedizin hat eine lange Tradition in Deutschland. Besonders die ältere Generation verfügt z. T. über lebenslange Erfahrung mit dieser Medizin, die sie durch Hausmittel und Co. bereits aus ihrer Kindheit kennt. Bislang war jedoch nicht umfassend erhoben worden, wie stark und in welcher Form Senioren Komplementärmedizin tatsächlich in Anspruch nehmen – Daten, die nicht nur für behandelnde Ärzte und Krankenkassen von großem Interesse sind. Diese Wissenslücke hat eine Erhebung der Berliner Charité mit Fördermitteln der Carstens-Stiftung : Natur und Medizin nun geschlossen.
Befragt wurden über 800 Erwachsene ab 70 Jahren in Berlin und Brandenburg. Um möglichst die Realbedingungen zu erfassen, kontaktierten die Dipl.-Med.-Päd. Katharina Schnabel und Kollegen der Charité Senioren mit unterschiedlichen Lebensumständen. Eingeschlossen wurden selbstständig Lebende, Nutzer von häuslicher Pflege sowie Bewohner in Pflegeheimen. Die beiden letztgenannten Gruppen beinhalteten sowohl Menschen mit, als auch ohne gesetzliche Betreuung. Abgefragt wurde die Nutzung aller natürlichen Produkte und Verfahren, die mit medizinischer Zielsetzung eingenommen wurden, von pflanzlichen Arzneimitteln bis hin zu Tees und Säften. Dieser Aufwand zahlte sich durch eine hohe Rücklaufquote aus: Die Antworten von 400 Befragten konnten ausgewertet werden.
Demnach verwenden knapp zwei Drittel der Senioren (61,3%) eine Form von Komplementärmedizin. Dabei stehen Nahrungsergänzungsmittel, wie Vitamine und Mineralien, an erster Stelle (35,5%). Pflanzliche Arzneimittel nimmt ein Drittel der Befragten in Anspruch (33,3%), gefolgt von äußerlichen Anwendungen (26,8%). Mit Zufriedenheit, denn 58,7% der Anwender beschreiben einen positiven Effekt der Komplementärmedizin. Nichtsdestotrotz bevorzugen die meisten Senioren (64,9%) eine Kombination aus komplementärer und konventioneller Medizin.
Während Ältere mit gesetzlicher Betreuung fast ausschließlich vom Arzt verschriebene Mittel einnehmen, informieren von den Senioren ohne gesetzliche Betreuung nur 58,7% ihren Arzt darüber, dass sie selbstständig Komplementärmedizin in Anspruch nehmen. Mehr als die Hälfte der Anwender (57,9%) weiß allerdings nicht, ob und welche Wechselwirkungen die Mittel mit konventionellen Arzneien verursachen könnten. »Dies ist ein Problem«, so Dr. Michael Teut aus dem Forscherteam vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, »denn ein Erwachsener im Alter von 70 Jahren bekommt bereits bis zu 5 verschiedene konventionelle Medikamente vom Arzt verschrieben. Wechselwirkungen mit natürlichen Mitteln sind möglich. Unsere Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie dringend der Schulterschluss zwischen konventioneller und komplementärer Medizin erfolgen muss.« Eine flächendeckende Erstattung komplementärmedizinischer Mittel und Verfahren in der GKV könnte dieses Problem entschärfen: Deren Inanspruchnahme würde in die Statistiken einfließen und wäre für Hausärzte besser einsehbar.
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