Eine Zeit lang ist das ein spannendes Spiel für mich. Irgendwann lernen sie, meine Provokationen zu ignorieren, und das Thema wird beiseite gelegt, bis ich eines Tages frage: »Wo kommen die Babys her?«
Bin ich zwischen fünf und neun Jahren alt, will ich vor allem hören, was für mich verständlich ist, nämlich dass mein Dasein einen Sinn hat. Wenn meine Eltern von meiner vorgeburtlichen Existenz überzeugt sind, ist das umso besser. Dann bin ich auf der Erde, weil ich das so wollte, und weil ich bei ihnen willkommen bin. Aber auch Eltern, die das anders sehen, sind gut beraten, mir nicht zu suggerieren, ich sei ein biologischer Zufall. Zumindest muss ich meinen Eintritt in die Welt mit ihrer Liebe füreinander verbinden können. Vor meiner ersten ernsthaften Reifungskrise im zehnten Lebensjahr muss ich fühlen können: Ich bin hier am richtigen Ort!
Ab dem elften Lebensjahr wird die Sache interessant. Zu diesem Zeitpunkt habe ich schon allerhand gehört und so halb verstanden. Auch dass das Thema peinlich ist, vor allem in der Kommunikation mit Erwachsenen, habe ich von ganz allein verinnerlicht. Ich lese mit Freunden die »Bravo«, und kann die seltsamen Gefühle, die diese Informationen in mir wachrufen, nicht so recht einordnen: Wie kann denn etwas zugleich faszinierend und abstoßend sein? Auf jeden Fall weiß ich mit zwölf Jahren wesentlich mehr über das Thema, als meine Eltern vermuten. Deshalb ist es auch gleichzeitig lustig und unerträglich peinlich zu beobachten, wie sie sich an »das Gespräch« heranschleichen:
»Wenn du mal was wissen willst, musst du nur fragen.«
»Du kannst mich alles fragen, was du willst.«
»Hast du irgendwelche Fragen?«
Natürlich habe ich jede Menge Fragen, aber die werde ich bestimmt nicht meinen Eltern stellen. Es wär ja schon ganz gut, einigermaßen verlässliche Informationen zu bekommen, aber bitte nicht von den Menschen, denen ich dann am nächsten Morgen beim Frühstück gegenübersitzen muss. Außerdem habe ich in meinem Alter noch keine Pläne, mein Wissen in die Praxis umzusetzen. Ich will nur mitreden können und mich vielleicht für später etwas vorbereitet fühlen. Mein Lehrer hat das ganz gut gemacht: In der dritten Woche unserer Bio-Epoche hat er vorne eine Kiste aufgestellt, da konnten wir (natürlich mit verstellter Schrift) Fragezettel reinwerfen. Die Fragen hat er dann am nächsten Tag beantwortet, ohne dass jemand wusste, von wem sie kamen. Das war dann nicht ganz so peinlich, weil Lehrer ja mit Sex eigentlich nichts zu tun haben, und außerdem hat er das ganz lustig gemacht. Überhaupt ist es am besten, wenn Erwachsene mit uns über Sex sprechen und dabei unausgesprochen vorausgesetzt wird, dass uns das Wesentliche ja schon bekannt ist. Dann kann man auch mal Witze machen. Denn das, worüber ich scherze, macht mir weniger Angst. Außerdem ist Humor so eine Art Peinlichkeitsableiter. Allerdings bin ich auch oft ganz froh, dass meinen Eltern und mir so manches zu peinlich ist. Mein Lehrer sagt, Peinlichkeit sei eine Schutzkleidung für die Seele.
Mit 14 bin ich eigentlich alt genug, um alles mögliche zu wissen, zumindest theoretisch. Mit Verhütung und HIV kenne ich mich schon ganz gut aus, nur wüsste ich ganz gerne, worauf ich sonst noch achten muss. Wenn’s mal in die Richtung gehen soll, verlasse ich mich lieber nicht auf den Rat meiner Freunde – die übertreiben garantiert. In meiner Klasse gibt es welche, die machen sich anscheinend gar keine Gedanken. Aber wie das so mit Gefühlen und Verantwortung aussieht, da kämen mir jetzt Gespräche mit meinen Eltern oder anderen Erwachsenen ganz gelegen. Mit mir könnte man jetzt ganz gut reden, glaube ich – ich bin ja kein Kind mehr.