Sommerbetrachtung

Henning Kullak-Ublick

Freude über diese Leichtigkeit, Wunsch und Hoffnung, sie mögen sie ewig behalten, nie möge sie ihnen verloren gehen! Was ist sie denn, diese Leichtigkeit? Was ist das für ein Leib, der so wenig Schwere in sich hat, dass die Kinder nicht seine Knochen, sondern seine Bewegung erleben? Was sind das für Seelen, die in einem solchen Einklang mit ihren Bewegungen stehen, dass ihr Körper nicht Hemmung, sondern Sprungfeder ist?

Warum ändert sich das im Lauf des Lebens? Wohin geht die Geschmeidigkeit und warum bleibt so oft Schwere, nicht selten Depression und Resignation, wo vorher reine Bewegung war? Und das, obwohl Fitness-Studios, Gesundheitsratgeber und Kochkurse wie Pilze aus dem Boden schießen? Welche Sehnsucht treibt den Jugendkult, der sein Versprechen niemals hält?

Ist es die Sehnsucht, den kindlichen Erlebnis-Reichtum von körperlicher Bewegung, Freude und Erkennen in ein Lebensalter hinüber zu retten, in welchem der Leib schwerer geworden ist, das Gefühlsleben zum persönlichen Innenraum und wir unsere Vorstellungen nicht mehr als Teil der Welt, sondern als ihr reflektiertes Schattenbild erleben? Was wäre denn die notwendige Verwandlung, um der Seele ihre Leichtigkeit und Geschmeidigkeit zu erhalten oder wiederzugeben?

Das Auseinanderfallen von Wollen, Fühlen und Denken in unabhängige Seelenkräfte ist eine notwendige biographische Voraussetzung für das Erlebnis der Freiheit. Es ist Befreiung und Verlust zugleich, zwei Grundempfindungen der Pubertät. Aber sind es nicht die Prioritäten der Erwachsenen, die darüber entscheiden, ob die Jugendlichen Wege finden, sie – situationsbedingt und aus freien Stücken – wieder in Deckung zu bringen? Ihren Willen mit Gedanken und ihre Ideen mit Liebe zu durchdringen, damit sie ihren eigenen moralischen Kompass finden?

Schaffen wir Erwachsenen Räume, in denen die Heranwachsenden ihr Denken als Teil der Wirklichkeit erfahren und die Wirkung ihrer Taten für die Welt erkennen? Oder lassen wir sie in einer Welt toter Vorstellungen allein und machen sie zum Futter einer Industrie, die davon lebt, die Leere unserer Seelen mit Gefühlen aufzufüllen und den Egoismus als modernen Überlebenskampf zu predigen?

Die Alterung unserer Körper können wir nicht aufhalten. Wir können aber eine Erziehung versuchen, in der die Kinder lernen, ihren Leib als Freund zu erkennen, der ihnen viele Tore zur Welt und zu sich selbst öffnet und den man gut behandeln und geschmeidig halten muss, einen Leib mit dem sie lernen, lebendig zu denken und zu fühlen, um auch dann noch tanzen zu können, wenn das Erdenleben seine Spuren in den Leib gezeichnet hat.

O Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen. Augustinus

Henning Kullak-Ublick, von 1984 – 2010 Klassenlehrer an der FWS Flensburg; Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen und bei den Freunden der Erziehungskunst  Rudolf Steiners, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de); Autor des Buches »Jedes Kind ein Könner. Fragen und Antworten zur Waldorfpädagogik«