Pure Verschwendung

Florian Osswald

Schule und Kindergarten konkret

Die Erwachsenen lernen die Kinder kennen und beginnen zu verstehen, was sie durch ihre Körperlichkeit zum Ausdruck bringen. Dabei begegnen wir Individualitäten mit konkreten Anliegen. 

Wir sehen, was die Lehrer und Eltern mit den Kindern bewirken.

Denken wir dann an Kindergarten und Schule, verbindet uns kein abstraktes Ideal, denn Kindergarten und Schule bilden sich aus der konkreten Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft. Bleiben wir der Wirklichkeit treu, werden sich die Inhalte von Kindergarten und Schule aus Menschenerkenntnis ergeben und nicht aus theoretischen Vorgaben.

Immer wieder neu

Heute, 100 Jahre nach der Gründung der Waldorfschule, gilt es, diese Grundidee aufzugreifen und sie in ein Gespräch mit der sozialen Wirklichkeit, der akademischen Welt und der Realität des Rechtslebens zu bringen.

Oft aber führen Waldorfschulen und Kindergärten ein erfolgreiches Nischendasein. Sie haben sich dort positioniert und sich einen Namen gemacht. Doch der geistige Impuls Steiners ist für alle Menschen da. Wie machen wir das möglich?

Jeder einzelne Mensch kann sich durch das Studium der Anthroposophie und ihre Verinnerlichung eine Grundlage für die Erfüllung der Bildungsaufgabe schaffen. Er wird dadurch die Einsicht gewinnen, dass es eine anspruchsvolle Aufgabe ist, Wirklichkeit im obigen Sinne zu bilden, denn er selbst hat Anteil an ihrem Zustandekommen. Sie ist nie »fertig«, sondern muss immer wieder neu erarbeitet werden. Damit beginnt eine lebendige Erkenntnisarbeit.

Das ist die eine Seite. Die andere zeigt sich im Tätigwerden in der Welt. Und jeder Mensch kann sich fragen:

  • Will ich ins Gespräch kommen mit den anderen Menschen, auch den bildungsfernen oder wissenschaftlich orientierten? Kann ich eine Sprache sprechen, die der andere Mensch versteht? 
  • Will ich mich ganz in die Öffentlichkeit hineinstellen, das heißt, keine besonderen Rechte für »meine« Initiative beanspruchen? 
  • Will ich andere Menschen wirklich mit in die Initiative hineinnehmen oder beschränke ich mich auf eine ausgewählte Gruppe?

Der aus Erkenntnis handelnde Mensch ist gefragt, der seine Schätze verschenkt. Hier liegt eine Grundgeste des Gründers der Waldorfschule. Er verschenkte alles, was er hatte, verschwenderisch.

Im Gegensatz zu materiellen Schätzen haben geistige Schätze die Eigenschaft, nicht abzunehmen, sondern zu wachsen. Die Angst vor Verdünnung ist nicht angebracht, wenn es sich um gelebte Einsichten handelt. Die sind immer konkret und frisch, denn sie werden immer wieder neu hervorgebracht, wie die Schule. Es gibt sie nur im »Fluss«, sie ist eine sich stets erneuernde Einrichtung, die aus den in ihr anwesenden Menschen heraus gestaltet wird. So frisch und konkret war jedenfalls die erste Waldorfschule in Stuttgart.

Florian Osswald war langjähriger Oberstufenlehrer in der Schweiz und ist Co-Leiter der Pädagogischen Sektion am Goetheanum.