Zwischen Geborgenheit und Angst

Hannah Eichholz: Wie war es in Deinem Land vor dem Krieg?

Sara Al-Aobadi: Vor dem Krieg haben wir uns wohl gefühlt, und es war alles in Ordnung. Wir haben wie alle Menschen auf dieser Welt ganz normal gelebt. Unsere Mutter ist Lehrerin, sie ist zur Arbeit gegangen und in der Zeit konnten wir ganz sicher zuhause allein sein. Ich konnte mich um meine Schwester kümmern. Auch wenn der Vater nicht da war, hatten wir ein Sicherheitsgefühl. Aber nach dem Krieg gab es sogar Angst bei uns zuhause. Sobald die Mutter weg war, hatten wir Angst, dass ihr auf dem Weg etwas Schlimmes passiert, dass eine Bombe explodiert oder dass ihr sonst irgendetwas zustößt. Auch beim Vater fürchteten wir uns genauso. Wir hatten nach einiger Zeit sogar Angst, zur Schule zu gehen, weil der »IS« zur Abschreckung ganz viele Kinder geköpft hat. Die Köpfe haben sie in Schulranzen rein getan und vor die Schultür gestellt.

Zuhause war es nicht anders, weil wir fürchteten, dass jederzeit Leute vom »IS« einbrechen und uns töten könnten. Deswegen wollten wir einfach weg. Wir haben alle gespart und unsere Sachen verkauft, sodass mein Vater mit seiner neuen Frau, dem Baby und mir fliehen konnte – weiter reichte das Geld nicht. Unsere Mutter wollte trotz allem versuchen, weiter als Lehrerin zu arbeiten.

HE: Wie war es in der Schule im Irak im Vergleich zu hier?

SA: Der Unterschied zwischen der Schule im Irak und der Schule in Deutschland ist riesig. Ich freue mich auf jeden Fall, dass hier so viel Auswahl an Fächern ist. Im Irak mussten wir nur lernen, lernen, lernen … Es gab keinen Sport, keine Kunst, keine Musik, nichts anderes als Lernen. Der Druck war enorm, wir mussten vieles auch auswendig lernen, und hier finde ich gut, dass ich auch beim Sport mitmachen darf, beim Kunstunterricht und vielen anderen Sachen. Aber was mich am meisten begeistert, ist, wie die Lehrer mit den Schülern umgehen. Im Irak sind die Lehrer gewalttätig und üben Druck auf die Kinder aus. Allein wenn man keine Hausaufgaben gemacht hat, konnte man geschlagen werden, oder wenn man sich für einen Moment vergisst und mit seinem Schul- oder Sitzkameraden spricht. Ich habe einmal Notizen gemacht, während die Lehrerin eine Lektion erklärt hat. Die Lehrerin ist ausgerastet und hat das Blatt einfach zerrissen. Deswegen freue ich mich riesig, wie die Lehrer sich hier mit mir unterhalten und mir alles erklären. Genauso freue ich mich über die Schüler – und besonders über Dich, Hannah – sie helfen sehr und geben uns das Gefühl, dass wir keine Ausländer sind oder dass uns etwas fehlt. Ich habe schon Sachen gesehen, die ich mir in meinem Land gar nicht vorstellen kann. Das Sprechen zwischen Lehrern und Schülern – wenn ich so mit meinen Lehrern im Irak reden würde, würde ich direkt eine Klatsche kriegen, denn bei uns gilt das als respektlos. Es gibt ein paar Ausnahmen, aber es sind nicht so viele, leider!

HE: Wie fühlst Du Dich außerhalb der Schule? Hast Du das Gefühl, Du wirst angenommen?

SA: Das Gefühl in der Schule ist auf jeden Fall sicherer als draußen. Draußen gibt es zwei unterschiedliche Reaktionen: Es gibt Menschen, die mir gerne zulächeln und Guten Tag sagen – sie zeigen ihre Sorgen. Und es gibt Menschen, die geben mir das Gefühl, dass ich hier nicht willkommen bin. Dabei kriege ich eine Riesenangst. Ich habe einfach Angst, dass sie mich schlagen oder mir irgendetwas Schlimmes tun. Ich habe ja vieles gehört und auch gesehen in den Nachrichten, wie zum Beispiel in Süddeutschland die Asylbewerber behandelt werden. Ich fürchte, dass es hier irgendwann mal genauso wird. Deswegen habe ich jedes Mal, wenn mich einer so komisch anguckt, einfach Angst. Aber in der Schule spüre ich keinen Unterschied zwischen mir und den anderen Schülerinnen und Schülern.

HE: Hattest du Hobbys im Irak?

SA: Es gibt richtig viele Hobbys wie Fußballspielen oder Schwimmen, die mich interessieren, aber da im Irak mitzumachen, war für mich überhaupt nicht möglich. Instrumente zu spielen war bei uns gar nicht üblich.

HE: Wie kamst du hierher?

SA: Wir sind zuerst mit dem Flugzeug bis in die Türkei geflogen. Dann sind wir mit Schleppern von 20 Uhr abends bis 6 Uhr morgens im Auto zur Küste gefahren. Von dort aus sind wir mit einem Schlauchboot zu einer griechischen Insel gefahren. Da haben uns dann Sicherheitskräfte geholfen, uns von Camp zu Camp gebracht und dann mit einer Fähre nach Athen gefahren. Von da aus sind wir nach Serbien mal gelaufen, mal mit Schleppern unterwegs gewesen. Einmal, als wir schon die serbischen Unterlagen mit Stempel hatten, kamen Männer, die sich als Schlepper ausgaben und unsere Unterlagen an sich nahmen. Sie brachten uns aber in die falsche Richtung. Wir wurden irgendwo ausgesetzt und brauchten neue Papiere und mussten den ganzen Weg laufen. Dann sind wir nach Kroatien gekommen, von da aus nach Slowenien, dann nach Österreich und dann wurden wir nach Deutschland gebracht.

HE: Was konntet ihr aus eurem Land mitbringen?

SA: Wir konnten nicht viel mitnehmen, weil wir wussten, dass der Weg nach Deutschland sehr lang sein wird. Jeder hatte eine Tasche dabei mit ein paar Klamotten, Familienfotos und dem Koran.

HE: Hattet ihr schon im Irak vor, nach Deutschland zu kommen?

SA: Ja, uns wurde erzählt, dass man hier gut aufgenommen wird – und das stimmt!