Die Schaltzentralen

Valentin Hacken

Büro Berlin

Das Büro der Freunde der Erziehungskunst liegt auf dem Schulgelände der Freien Waldorfschule in Berlin Mitte. Betritt man den Raum im sonst ruhigen Stockwerk begegnet einem rege Betriebsamkeit. An den Wänden stapelt sich ein Teil der Akten zu den mehr als 200, die hier jährlich betreut werden. San Francisco, Sao Paulo, Santiago, Mexiko City, Lima, Dakar, Kapstadt, Sarajevo, Florenz, Zagreb, Istanbul, Jerusalem, Bangkok, Guangzhou – schon ein kleiner Auszug aus der Arbeit des letzten Jahres lässt den Begriff »international« als Attribut der Waldorfbewegung erlebbar werden. Jeder dieser Orte, von denen man manche erst auf der Weltkarte suchen muss, hat hier seine eigene Geschichte. Die Schulen, Kindergärten, Heime, Institute und sozialen Einrichtungen besitzen eine Biographie. Die Menschen, die dort arbeiten, und ihre Impulse sind bekannt. Sie werden nicht unter einem Nummernsystem für Bittsteller abgelegt, sondern mit ihrem Namen und Anliegen.

In Berlin sitzt mir Nana Göbel gegenüber. Gerade hat sie energisch eine letzte E-Mail beantwortet. »Die Anforderungen sind äußerst unterschiedlich«, erläutert sie. Von der finanziellen Unterstützung über die Beratung bei Schulneubauten, Schul-organisation und Leitung über Verhandlungen mit den örtlichen Behörden – bis zur Lehrerfortbildung. »In vielen Ländern gibt es kein mit Deutschland vergleichbares Privatschulrecht«, sagt sie. Viele Aufgaben können für eine neue Initiative in widrigen Umständen einen Kraftakt bedeuten. Die Differenz zwischen Grundstückspreisen und dem durchschnittlichen Einkommen der Bevölkerung verunmöglicht in vielen Ländern die Errichtung von Schulbauten mit eigenem Geld, die erheblichen Reisekosten bis zum nächsten Waldorflehrerseminar machen eine fundierte Ausbildung für manchen zukünftigen Lehrer unerschwinglich: Das sind zwei der vielen möglichen Fälle von Projektförderung durch die Freunde der Erziehungskunst, die sich hierbei als Geldsucher und Geldschenker betätigen. Das frei verfügbare Geld – nicht zweckgebundene Spenden – ihres »Internationalen Hilfsfonds« steht kurzfristig für Notlagen und dringende Projekte bereit. Die meisten Spenden werben sie jedoch bei Partnern, befreundeten Stiftungen und auch beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein und leiten sie ohne Abzüge an die Projekte weiter. Dabei wird in Berlin genau geprüft, »dass keine laufenden Kos­ten übernommen werden«, wie Göbel sagt. Die Schulen müssten verantwortlich wirtschaften und würden auch beraten.

Sie und ihre vier Mitarbeiter reisen seit Jahren um die ganze Welt. Sie besuchen Einrichtungen auf allen Kontinenten; sie sehen Schulen, die Schutzräume vor Gewalt und Hunger sind und für viele Kinder die einzige Hoffnung auf ein Leben in Freiheit. In Berlin werden auch Patenschaften für Schulen und Kinder vermittelt, der WOW-Day ausgerichtet und ein Rundbrief produziert. Das Büro unterhält Kontakte zu verschiedensten Organisationen, seit 2001 auch offizielle Beziehungen zur UNESCO. So sind es durch das weltumspannende Netz der Freunde der Erziehungskunst vom Alexanderplatz bis nach Kapstadt nur einige U-Bahnstationen. 

Büro Karlsruhe

»Eigentlich war das mal unser Besprechungsraum, aber jetzt …« ist es ein weiteres Büro. Christian Grözinger, der Leiter des Karlsruher Bereichs Freiwilligendienste führt uns mit Michaela Mezger durch die verschachtelten Zimmer. Seit 2002 ist das Karlsruher Büro der Freunde der Erziehungskunst schnell gewachsen. Mittlerweile arbeiten dort 35 Festangestellte in verschiedenen Bereichen der Freiwilligendienste und Notfallpädagogik.

Die größte Abteilung sind die Auslandsdienste. Mehr als 600 Menschen – hauptsächlich Jugendliche und junge Erwachsene – werden derzeit von Karlsruhe aus in ihre Einsatzstellen auf der ganzen Welt entsandt. Sehr unterschiedliche Motivationen und Vorstellungen von der Arbeit führen zu einer Bewerbung. Das Büro in Karlsruhe ist von Anfang an dabei. Es veranstaltet gemeinsam mit ehemaligen Freiwilligen Orientierungswochenenden für die Bewerber, hilft ihnen, die Vorstellung ihres Einsatzes zu präzisieren und eine Einrichtung mit Bedarf zu finden. Die meisten Plätze werden über staatlich finanzierte Programme (FJA, weltwärts) vergeben, doch es gibt auch eigene, privatrechtliche und durch die Freunde der Erziehungskunst finanzierte Angebote.

Neben der Betreuung der Freiwilligen im Ausland und deren Einsatzstellen gibt es seit einigen Jahren auch ein »Incoming«-Angebot, das Freiwilligen Einsatzstellen in Deutschland vermittelt. Diese werden seit dem Ende des Wehr- und Zivildienstes immer dringender gesucht, so dass nun auch Plätze im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes an Deutsche in Deutschland vermittelt werden können.

Seit 2006 betreiben die Freunde der Erziehungskunst ein weiteres Programm, maßgeblich entwickelt durch Bernd Ruf, den Leiter des Karlsruher Büros: die Notfallpädagogik. Die Teams aus Ärzten, Psychologen, Pädagogen, Erziehern und Kunst­therapeuten leisten »Krisenintervention«, sagt Michaela Mezger.

Eigens entwickelte Maßnahmen auf Grundlage der Waldorfpädagogik geben den Kindern und ihren Familien Schutz und Möglichkeiten, die Erlebnisse in ihre Biographie einzugliedern. Sie sollen sich selbst als wertvoll, kontrolliert und wirksam erfahren und so ihre Selbstheilungskräfte aktivieren. Die Einsätze wie im Libanon, Gaza oder aktuell in Japan werden ehrenamtlich geleistet. Karlsruhe ist der Knotenpunkt, der persönlichen Einsatz und den Bedarf an verschiedensten Orten der Welt verbindet.