Standpunkt

Erwartungen sind Vereinbarungen, die die anderen nicht kennen

Eva Wörner

Allerdings habe ich mit der Natur keine Vereinbarung treffen müssen, das ist auch nicht notwendig, denn auf Jahreszeiten ist noch Verlass.

Ich schreibe eine E-Mail und bin erstaunt, dass nicht unmittelbar eine Antwort kommt. Ich verabrede mich zu einem Gespräch und wundere mich, dass ich eine Viertelstunde warten muss. Mein Neffe leiht sich mein Fahrrad und es steht abends nicht wieder im Schuppen. Alle drei Vorkommnisse geben mir Anlass, mich zu ärgern, und es gibt noch viele weitere Beispiele, die ich nennen könnte.

In jedem Fall hat der Ärger mit der eigentlichen Sache nichts zu tun, sondern mit unausgesprochenen Erwartungen, von denen ich mir wünsche, dass sie – wie eine Vereinbarung – erfüllt werden. Wenn mein Anliegen wirklich dringend ist, muss ich einen anderen Kommunikationsweg als eine E-Mail finden. Für mein Gespräch vereinbare ich eine Uhrzeit mit der Bitte, dass diese eingehalten wird. Meinen Neffen frage ich, wie lange er mein Fahrrad braucht, dann weiß ich erstens, ob das für mich möglich ist und zweitens, wann das Rad wieder im Schuppen steht. Ich kläre also mit dem Gegenüber meine Erwartungen, wir treffen eine Vereinbarung.

Die Schulen im BdFWS erwarten vom Bundesvorstand Stellungnahmen zu aktuellen Themen. Doch dann ist der Inhalt für einige Menschen »zu schwach« oder »zu opportun« oder »unterstützenswert« oder »unmöglich«. Wir können zu dieser Erwartung keine Vereinbarung treffen, denn dazu ist die deutsche Schulbewegung viel zu heterogen und individuell – eigentlich Merkmale, auf die wir alle bauen. Also können die Erwartungen auf keinen Fall erfüllt werden. Auch gibt es die Erwartung an den Bundesvorstand, er möge sich aus internen Angelegenheiten raushalten, in der Krise jedoch umgehend zur Verfügung zu stehen. Eine unerfüllbare Erwartung.

Zukünftig sollte die Geste eine andere werden. Aus der Erwartung sollte ein Dialog werden. Ein Gespräch über Für und Wider in der Sache. Die Gespräche sind in letzter Zeit viel zu kurz gekommen. Zumindest die Gespräche in der heterogenen und individuellen Ansammlung von Menschen aus allen Himmelsrichtungen in der deutschen Schulbewegung. Ich wünsche mir und Ihnen sehr, dass es uns gelingt, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, damit wir uns gemeinsam klar werden über unsere Erwartungen an uns selbst, aber auch an das Gegenüber. Nur wenn ich weiß, was Sie von mir erwarten, kann ich darauf reagieren. Vielleicht bedeutet das auch ein »Nein« – und ich kann Ihre Erwartung nicht erfüllen. Dann herrscht aber Klarheit in der Sache. Ich wünsche Ihnen, dass Sie viele, viele grüne Spitzen sehen, die aus der Erde drängen, und dass damit der Frühling auch bald kommt.

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.