Lernkultur statt Aufrüstung

Henning Kullak-Ublick

Anlass für diese Aufrüstung war der Amoklauf an einer Grundschule in Newtown, Connecticut, bei der zwanzig Kinder und sechs Erwachsene starben. Nur wenige Tage später hatte sich die mächtige National Rifle Association NRA mit dem Argument für die Bewaffnung von Schulen ausgesprochen, ein böser Mensch mit einem Gewehr könne nur von einem guten Mensch mit einem Gewehr aufgehalten werden.

In Deutschland wird man über die Gleichsetzung von bürgerlicher Freiheit und Waffenbesitz eher den Kopf schütteln und sich über Schulen, die sich in Festungen verwandeln, wie sie in Mexico schon lange üblich und in den USA jetzt auf dem Vormarsch sind, entrüsten. Aber wie steht es mit den Ängsten, die dieser Aufrüstung zugrunde liegen?

Wir sind weit entfernt von Verhältnissen wie an der Chicagoer John-Middleton-Grundschule, wo die Kinder nach einem Gesichtscheck per Kamera durch den Schulpsychologen eine gepanzerte Eingangshalle betreten, in der sie ihren Ausweis abgeben müssen. Reinhard Kahl machte jedoch kürzlich darauf aufmerksam, dass er in deutschen Zeitungen immer öfter Schlagzeilen liest, die »wie Parolen für eine pädagogische Aufrüstung« klingen. So schrieb das Hamburger Abendblatt über »Deutschlands strengste Schule« und die Lübecker Nachrichten berichteten unter dem Titel »Schulen rüsten auf« über die Handy-Ortung bei Klausuren.

Kontrolle, Ordnung, Disziplin werden zum Problem, wenn ihnen ein Wert ohne konkreten Kontext zugesprochen wird. Bernhard Bueb traf mit seinem Buch »Lob der Disziplin« vor wenigen Jahren einen Nerv, obwohl diese Sekundärtugend ohne ein selbstständig errungenes Wertesystem mindestens so gefährlich wie nützlich ist. In der Schule sollte die notwendige Disziplin immer durch die Arbeit selbst entstehen, was aber nur klappen kann, wenn die Arbeit wichtig, weil mit dem Leben verbunden, ist.

Angstfrei kann eine Schule auf Dauer nur sein, wenn sie als gemeinsames Lern- und Entwicklungsprojekt von Erwachsenen und Schülern organisiert wird. Lebendige Formen der Zusammenarbeit sind viel verbindlicher als auf Misstrauen gegründete Kontrollen, weil sie eine Lernkultur prägen, die auf Initiative und Kooperation beruht. Schule ist immer Ausdruck des Verständnisses einer Gesellschaft von sich selbst. Es gibt keinen Unterschied zwischen der gelebten Praxis der Zusammenarbeit an einer Schule und den Inhalten, die die Kinder lernen. Die bewaffneten Hausmeister in Ohio wollen die Kinder ihrer Schulen schützen. Tun wir das mit unseren Mitteln, ohne Waffen.

Henning Kullak-Ublick, von 1984 – 2010 Klassenlehrer an der FWS Flensburg; Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen und bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de)