Systemrelevante Werte
Vor wenigen Jahren erschütterte eine »Bankenrettungskrise« die Welt, deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die globalen Machtkoordinaten uns noch lange in Atem halten werden. Da ihre Ursachen fortbestehen, bahnt sich auch die nächste globale Finanzkrise an.
Es sind unglaubliche politische und finanzielle Anstrengungen unternommen worden, um die »systemrelevanten« Banken zu retten. Mit der Wiedervereinigung von Ost und West und dem anschließenden zweiten Wirtschaftswunder hat Deutschland mit einem vergleichbar großen Kraftaufwand eine Gestaltungsaufgabe vollbracht, auf die wir nicht nur stolz sein, sondern von der wir etwas für die Bewältigung der Flüchtlingskrise lernen können. Die Flüchtlingsströme werden uns erhalten bleiben, dafür sorgen die globalen Finanzhasardeure ebenso wie die Despoten und ihre islamistischen Widersacher im Nahen und Mittleren Osten, ob das die Rechtsextremisten Europas nun wahrhaben wollen oder nicht.
Die Bundesregierung rechnet bis 2020 mit 3,6 Millionen Flüchtlingen. Wir brauchen daher eine Bildungsoffensive, die der Bankenrettung und Wiedervereinigung ebenbürtig ist. Dabei geht es keineswegs nur um die Integration der Flüchtlingskinder, sondern um eben jene Werte, die die »besorgten« Hüter eines deutschnationalen Reinheitsgebotes so vehement ins Feld führen, wenn sie mal wieder die Grenzen dichtmachen wollen. Kulturtragend werden diese Werte nur, wenn sie gelebt werden. Die Verantwortung dafür liegt mitten in der Zivilgesellschaft, und das ändert alles.
Wir werden die Bildungsoffensive nur hinbekommen, wenn wir uns von der bequemen Vorstellung befreien, der Staat werde es schon richten. Der muss allerdings dafür sorgen, dass die gewaltigen Steuereinnahmen, über die Deutschland verfügt, wieder in die Zivilgesellschaft eingespeist werden, um vor Ort neue Bildungsangebote entstehen zu lassen und nachhaltig abzusichern. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung sind schon heute 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Armut betroffen, besonders in Bremen, Sachsen-Anhalt und Leipzig, Tendenz steigend. Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, schätzt, dass die Flüchtlingskinder diese Zahl um weitere 500.000 erhöhen werden. Deshalb schlug er bereits 2014 vor, jedem Kind eine Grundsicherung von 500 Euro im Monat zu garantieren.
So richtig dieser Vorschlag ist: Er braucht die Erweiterung zu einem Bildungspakt zwischen gemeinnützigen freien und staatlichen Trägern, Stiftungen, der Industrie und anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen, die Bildungsinitiativen fördern und armen Familien den kostenlosen Zugang auch zu nichtstaatlichen Schulen, Kindergärten oder Freizeitangeboten ermöglichen. Systemrelevante Banken konnte der Staat mit unseren Steuergeldern retten; unsere »systemrelevanten Werte« bedürfen der handelnden Menschen vor Ort. Die staatlichen Finanzhilfen müssen sich im Bildungswesen an der Nachfrage durch die Eltern und nicht an »staatlich« oder »nichtstaatlich« orientieren. Auf der Skala unserer Werte steht »mündig« sehr weit oben!
Henning Kullak-Ublick,von 1984 – 2010 Klassenlehrer an der FWS Flensburg; Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen, den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners und der Internationalen Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung – Haager Kreis
André Daniel, Berlin, 01.04.16 16:04
Liebe Damen und Herren,
Ich kann dem Artikel nur zustimmen, da es zutiefst um Werte in unserer Gesellschaft und besonders im Unternehmertum geht! Mit meiner Schülergruppe Whenua Ecological Networking betreiben wir zur Zeit gemeinwohlorientierte und nachhaltige Medienproduktion für eine regionale und ökologische Alpakazucht. Die Schüler lernen hier, wie man über Crowdfunding gemeinwohlorientiert Gelder erwirbt und ökologische Projekte fördert. Dahingehend ist dies ethisch, da es mit Solidarität, Empathie und Nachhaltigkeit letztendlich auch um anthroposophisch fest verankerte Werte geht. In der integrativen Wirtschaftsethik nach Ulrich wird hier von einem Diskurs gesprochen, der auch Spiritualität, Religion und Philosophie mit einbezieht, um eine neue Leitwertorientierung in der Gesellschaft zu erschaffen, die nachhaltig und menschlich ist. Ich halte persönlich nichts von den neoliberalen Ansätzen, über Regulationsversuche das Wirtschaften nachhaltig zu bekommen - das Scheitern dieser sehen wir ja fortlaufend in der globalen Politik wie bspw. TTIP.
Vielen Dank für einen solchen Artikel! Die Bildungsoffensive hat schon begonnen, und sie mag viele Namen haben, aber Whenua versucht einer davon zu sein und will seit November 2015 die Welt ein Stück weit zu einem besseren Ort machen :).
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