Technik und Kommerz machen aus Bildung noch keine Kunst

Henning Kullak-Ublick

In Amerika, erklärte er mir beflissen, habe sich sein Accessoire bereits zigtausendfach bewährt. Es entpuppte sich als Mikrofon für ein Surround-Sound-System, das genau jene Stimmfrequenzen des Lehrers im Klassenraum verstärkt, die im allgemeinen Geräuschpegel und proportional zum Abstand vom Lehrer normalerweise verloren gehen und ihn daher zwingen, ganz unpädagogisch Stimme oder Zeigefinger zu erheben. Damit sei nun endlich Schluss, denn dem Wohlklang einer um fehlende Frequenzen angereicherten Stimme könne sich kein Schüler mehr entziehen. Die Leistung steige und die Lehrer würden nicht so schnell heiser. Als der Herr sein Mikrofon ausschaltete, erschien mir seine Stimme tatsächlich etwas fad – das System funktioniert offenbar.

Meine Frage, ob die Lehrer nicht lieber ihre Stimme ausbilden und verschönern sollten und ob sein System nicht die ohnehin schon durch allerlei Ohrstöpsel geschundenen Hörfähigkeiten mancher Schüler noch mehr korrumpiere, indem es ihnen die Anstrengung des Hinhörens endgültig abnehme, fand er etwas peinlich. Immerhin waren wir auf der didacta und die bietet das Modernste vom Modernen, beispielsweise die Nachfolger unserer noch aus Feuerzangenbowlen-Zeiten stammenden Wandtafeln: Riesige Touch-Screens, die Whiteboards, können die tollsten Zauberkunststückchen und werden neuerdings sogar mit einer Software angeboten, mittels derer man mit einem elektronischen Kreidestück wie auf einer echten Tafel schreiben kann. Sogar farbig!

Die Lehrer, die sich zu Zehntausenden mit ihren hungrigen Trolleys durch die Gänge quetschten, gehören sicherlich zu denen, die sich wirklich um einen interessanten, modernen, fachlich fundierten Unterricht kümmern wollen, sonst wären sie ja nicht gekommen. Interessante Vorträge, Veranstaltungen und ein paar gute Schulbücher gab es ja auch – nicht zuletzt an unseren Waldorfständen. Und trotzdem: Ich konnte mich irgendwann nicht mehr gegen das Bild einer Herde wehren, auf verzweifelter Suche nach Futter für die »Kids«, denen man tagtäglich etwas liefern muss, damit sie bei der Stange bleiben, um die geforderten Standards zu erfüllen und damit ein Schul­­system am Leben zu erhalten, das immer noch auf der Verteilung ihrer Lebenschancen basiert.

Was wäre gewesen, wenn alle diese Menschen stattdessen zusammengesessen und sich über ihre Erfahrungen mit den Kindern ausgetauscht hätten? Über deren Fragen, Erlebnisse, Sorgen, Freuden und darüber, was sie wirklich brauchen? Wäre das nicht genau die radikale Schulreform, nach der sich alle sehnen? Schule kann man mit allem machen: mit Steinen, Wasser, Kreide oder eben mit Whiteboards. Nur Erziehungskunst macht aus Steinen Brot.

Henning Kullak-Ublick, Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen und bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners, seit 1984 Klassenlehrer in Flensburg, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de)