Störenfried Paul warnt vor dem Handy

Nathanael Dreißig

Wer heutzutage kein Handy besitzt kann sich als seltenes Individuum betrachten. In Deutschland findet sich in achtundneunzig Prozent der Haushalte mindestens ein Handy. In den letzten zwanzig Jahren wurde das mobile Telefon so populär, dass man lieber nach der Handynummer fragt, als sich die Festnetznummer geben zu lassen. Kein Wunder eigentlich, wenn man bedenkt, dass heute fast genauso viele Handys verwendet werden wie Festnetztelefone.

Nahezu jeder Jugendliche hat ein Handy und sogar rund zwanzig Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen. Eine möglicherweise weitaus größere Zahl von Kindern telefoniert mit einem schnurlosen Telefon. Das größte Problem ist, dass keine Langzeitstudien über die medizinischen Folgen der Nutzung von Handys existieren. Hinzu kommt, dass beunruhigende Studienergebnisse nicht anerkannt werden und deren Publikation erschwert wird.

Viele Eltern wollen, dass das eigene Kind rund um die Uhr erreichbar ist. Die Gründe dafür sind grundsätzlich nachvollziehbar. Wer möchte sein Kind nicht vor der großen Welt schützen, über die es noch unzureichend informiert ist?

Allerdings ist es für Kinder und Jugendliche bis zum sechzehnten Lebensjahr besonders riskant, mobil zu telefonieren. In Frankreich gibt es  an Schulen sogar ein Handyverbot für Kinder bis fünfzehn Jahre. Erstmals sind nicht soziale Gründe der Auslöser für dieses Verbot, sondern die Gefährdung der Gesundheit. Damit reagiert die französische Regierung auf das Drängen von Medizinern und Wissenschaftlern. In Deutschland sind wir noch weit entfernt von einem Handyverbot für junge Menschen. Deshalb ist es wichtig, dass die Eltern ihre eigenen Kinder vor Gefahren und Risiken schützen, bevor es für diese zu spät ist. Denn das Kind sagt mit Sicherheit nicht von sich aus »Nein« zum Handy.

In jedem Menschen werden bis zum sechzehnten Lebensjahr rote Blutkörperchen in allen Knochen gebildet. Danach nicht mehr in allen. An jeder Antenne eines Handys, aber auch bei Schnurlostelefonen und beim W-LAN tritt Mikrowellenstrahlung auf. Der so genannte SAR-Wert beschreibt den Radius, den die Strahlung rund um die Antenne aufweist. Der Grenzwert liegt in Deutschland bei zwei Zentimetern (SAR 2.0). Ein deutscher Mediziner hat entdeckt, dass rote Blutkörperchen aneinander kleben, wenn sie bei ihrer Bildung mit Mikro­wellen bestrahlt werde.

Sie verlieren ihre Funktion als Sauerstoffträger und gehen während des Oxidationsvorgangs nicht, wie sonst üblich, kaputt. Für die »Geldröllchen« die dadurch entstehen, heißt das, dass sie für immer im Blutkreislauf bleiben. Verstopfen diese Geldröllchen nun ein Kapillargefäß im Gehirn, kann es zum Hirnschlag kommen. Bevor es das Handy gab, lag das durchschnittliche Alter für Menschen, die einen Hirnschlag erlitten, bei Mitte fünfzig. Heutzutage liegt diese Zahl bei etwas mehr als dreißig Jahren. Und für die Generation der heute Vierzehnjährigen sagen Experten voraus, dass die Jüngsten schon Mitte zwanzig einen Hirnschlag erleiden werden.

Es mag unwahrscheinlich sein, dass zwei »Geldröllchen« ein Kapillargefäß vollständig verstopfen. Wenn man aber mal zusammenzählt, wie viele Stunden ein Kind heutzutage ein Handy, ein schnurloses Telefon oder ein W-LAN benützt, kann man sich auch ausrechnen, wie viele zigtausend Geldröllchen sich unauflösbar im Kreislauf der Kinder bewegen. Das Risiko wächst also immens. »Es gibt definitiv zwei Gruppen von Menschen, die Gefahren durch Strahlung ausgesetzt sind«, sagt der Rechtsanwalt Sven Leistikov, der sich auf die Vertretung von Mobilfunkopfern spezialisiert hat, »das sind Elektrosensible, also Menschen, die auf besondere Weise auf Strahlung reagieren, und Kinder«.

In den meisten deutschen Schulen gibt es heute eine Handy­-regelung – sei es ein Verbot oder eine eingeschränkte Erlaubnis. Beides führt oftmals dazu, dass viele Schüler gegen die Schulführung auf die Barrikaden gehen. Die Gründe sind mehr oder weniger nachvollziehbar, denn meistens werden besagte Handyverbote eingeführt, ohne die Schüler einzubeziehen. Das kann so weit gehen, dass der Schüler am Tag des Verbots von demselben erfährt und sein Handy wegpacken muss. Verständlich, dass sich die Schüler wehren.

Andererseits haben auch die Schulen gute Gründe für Handyverbote. Das Hauptargument sind die sozialen Probleme, die Handys verursachen. Stichworte wären das Austauschen von Videodateien mit gemeingefährdenden Inhalten, soziale Isolation derer, die kein Handy besitzen, und natürlich das nervige Klingeln im Unterricht. Nebenbei wird verhindert, dass ein Schüler mit seinem Videohandy die Persönlichkeitsrechte seiner Mitschüler oder Lehrer verletzt. Durch solche Verbote schützt sich eine Schule. Das verständliche Vorgehen der Schule wird jedoch selten von den Schülern akzeptiert. Seit 2007 existiert an der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart ein von Schülern gegründetes Projekt, das sich für die Aufklärung von Schülern zum Thema Handy und Mobilfunk einsetzt. Bei dem so genannten »Paulprojekt« wurde dank der Erfindung des Physiklehrers Gerhard Wäckerle ein Gerät gebaut, das im Klassenzimmer als »Erinnerer« eingesetzt werden kann. Das Konzept, das dahinter steckt, verfolgt die klare Linie, dass »Paul« als Mitschüler agiert. Paul stößt, sobald er eine Handystrahlung registriert, einen Piepston aus, der den vergesslichen Schüler an eine bestehende Handy­regelung erinnern soll. Natürlich funktioniert Paul erst dann, wenn die Schüler vorher wissen, warum eine Regelung eingeführt wird.

An der Uhlandshöhe existierte zwar eine Handyregelung, aber keiner kümmerte sich wirklich darum. Deshalb konzipierte das Paulprojekt eine neue Handyregelung für die Schule, die es der Schulkonferenz vorlegte. Außerdem wurden Informationsstunden für die Schüler der Mittel- und Oberstufe zum Thema Mobilfunk durchgeführt. So bekamen die Schüler wenigstens eine leise Ahnung davon, warum sie das Handy ausschalten sollten.

Der Erfolg des Paulprojekts kann sich sehen lassen. Seit Januar wird ein weiterentwickelter »Paul« vertrieben und bekam viele positive Rückmeldungen. Das Innovative des Projekts ist , dass es ein Gerät gibt, das die Strahlung hörbar macht. Die Schüler und Mithelfer des Projekts produzieren jeden »Paul« in Handarbeit.

Die gemeinsamen »Sessions« in den Werkstätten der Uhlandshöhe machen nicht nur Spaß, sondern tragen dazu bei, dass sich die nachwachsende Generation mit einem Thema auseinandersetzt, das nicht unter den Teppich gekehrt werden sollte, nur weil Mobilfunk­konzerne große Umsätze erzielen.

Link: www.paulprojekt.de