Tausche Villa gegen Platte. Die Potsdamer Waldorfschule gibt sich eine neue Gestalt

Simone Sonntag

Zeitenwenden spielen in der Geschichte unserer Schule eine große Rolle. Ihre Gründung wurde erst 1989 durch die Wende in der DDR möglich. Eine historische Villa am Rande des Parks Sanssouci war unser erstes Zuhause, wo wir behütet aufwachsen konnten. Doch schon kurz vor der Jahrtausendwende standen wir vor einer schwierigen Entscheidung. Die Villa war für den Aufbau der Oberstufe zu klein, ein Neubau nicht möglich und die Entwicklung eines Konzeptes für die Zukunft gestaltete sich außerordentlich konfliktreich. Die Stadt Potsdam musste aufgrund des Geburtenrückganges eigene Schulstandorte aufgeben, die nun für freie Träger zur Verfügung standen. Da wir wegen Platzmangels bereits unsere beiden oberen Klassen an benachbarte Waldorfschulen hatten abgeben müssen, drängte die Entscheidung.

Das Angebot der Stadt war eine Plattenbauschule in einem Neubauviertel – das komplette Gegenteil von dem, was man sich architektonisch unter einer Waldorfschule vorstellt. Dementsprechend verliefen die Diskussionen innerhalb des Kollegiums und in der Elternschaft. Unser gerade erst frisch gewonnener Gründungslehrer für die Oberstufe aus Baden-Württemberg lehnte das Schulgebäude nach der ersten Besichtigung entschieden ab. Ich selbst war in Greifswald jahrelang in einem Plattenbau zur Schule gegangen. Als ehemalige DDR-Bürgerin fühlte ich mich dadurch in dieser Situation wie ein Mensch zweiter Klasse. Vermutlich brachte ich dies auch emotional zum Ausdruck. Die Auseinandersetzung führte zur entscheidenden Wende in unserer Schule. In der Überzeugung, dass es darauf ankommt, was man aus den Dingen macht, entschieden wir uns für den Umzug in das Neubauviertel.

Im neuen Jahrtausend bewältigten wir in nur sechs Monaten die Grundsanierung des Schulgebäudes, das aus den 1960er Jahren stammte. Lehrer, Eltern und Schüler halfen kräftig mit. In den Sommerferien unterstützte uns eine internationale Jugendbrigade. Wir sorgten für neue Fenster, Fußböden, einen neuen Wandputz und eine energieeffiziente Außendämmung. Hierbei war uns besonders wichtig, das Raumklima des Plattenbaus nachhaltig zu verbessern. Der alte Putz wurde von den Wänden geschlagen und Lehmputz aufgebracht. Die Fußböden in den Klassenräumen bestehen durchgehend aus Eichenholzstabparkett und für die restlichen Räume wurde farblich abgestimmtes Linoleum oder Holz verwendet. Wir haben ein professionelles Farbkonzept entwickeln lassen, das die Räume eindeutig als Waldorfschule erscheinen lässt. Die Möblierung und die liebevolle Ausgestaltung durch die Kollegen taten ein Übriges. Tageslichtlampen sorgen für eine angenehme Atmosphäre. Das Gebäude selbst wirkt durch seine Architektur licht, leicht, transparent und klar strukturiert. Und mit fast dreizehn Jahren Abstand kann ich sagen, dass sich diese Eigenschaften längst auch im Kollegium wiederfinden und wir eine gute Partnerschaft mit dem Gebäude gefunden haben.

Die Oberstufenschüler gestalten die neuen Räume mit

In den Jahren nach dem Einzug haben wir nach und nach vieles verändert und ergänzt. Wir legten Wert darauf, die Schüler in den Gestaltungsprozess einzubeziehen. In den Oberstufenprojekten haben wir klassenübergreifend die Räume mit Keramikschildern beschriftet, einen Innenhof von der Planung bis zur Umsetzung zu einer Oase der Stille umgestaltet und im Außengelände Rundbänke gebaut. Durch die Anerkennung als Ganztagsschule konnten wir in den Jahren 2006/2007 mit Hilfe von Ganztagsschulmitteln einen Innenhof zwischen zwei Gebäudeflügeln überdachen. Das hierdurch entstandene Foyer ermöglicht uns, Monatsfeiern, Einschulungen und Theateraufführungen im Schulgebäude stattfinden zu lassen. Es bietet darüber hinaus ausreichend Raum für die Pausengestaltung, das Mittagessen und für allgemeine Zusammenkünfte. Selbst als Wahllokal ist unser Schulbau geeignet und beliebt. Auf diese Weise können wir den Einwohnern in unserer Nachbarschaft einen lebendigen Eindruck von der Potsdamer Waldorfschule vermitteln.

Der Clou: das Außengelände

Wunderbar aufgewertet wurde unser Grundstück durch die weitreichende und phantasievolle Umgestaltung des Schulhofes. Mit Hilfe des Konjunkturpaketes II konnten wir einen lang gehegten Plan Wirklichkeit werden lassen. Die klaren Strukturen des Gebäudes sollten durch eine künstlerische, organische Neugestaltung des Außengeländes ergänzt werden. Wir haben zunächst einen geodätischen Plan erstellen lassen. Raimund Herms, ein anthroposophischer Landschaftsgestalter, hat gemeinsam mit uns geplant und die Umsetzung begleitet. Das Resultat lässt alle Besucher begeistert ausrufen: »Wenn man das Gebäude von vorne sieht, glaubt man gar nicht, was für ein schönes Schulgelände sich dahinter verbirgt!« Der Schulhof grenzt an den Schulgarten, in dem mit viel Mühe aus märkischem Sand Humus gewonnen wird. Dahinter findet man die Werkstätten, die auf 365 Quadratmetern für jedes Handwerk Platz bieten. Sie werden mitunter abwertend als Baracken bezeichnet. Tatsächlich aber bieten sie ungeahnte Möglichkeiten! Zusammen mit unserem anfänglich ungeliebten Gebäude haben wir also letztlich auch viel Grundstücksfläche »geerbt« (Erbpacht), was für eine Stadtschule ungewöhnlich, jedoch höchst komfortabel ist. Insofern hat sich die Maxime bewahrheitet: Es kommt darauf an, was man aus den Dingen macht. Unser Gebäude hat sich verwandelt, und jeder sei gewarnt, die Dinge nur von außen zu beurteilen. Und noch eines wurde im Laufe der Jahre deutlich: Eine Schule ist nur so gut, wie die Menschen, die in ihr wirken. Für ein Kollegium, das bereit ist, gemeinsam einen innovativen Weg in die Zukunft zu finden, das Fehler machen darf und daraus lernt, das aufgeschlossen und transparent miteinander umgeht, ist jedes Gebäude recht.

Zur Autorin: Simone Sonntag hat Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Uni Berlin studiert und ist seit 1995 für die Waldorfschule Potsdam tätig.