»They oops, oops, oops …«. Silvia Albert-Jahn – ein Porträt.

Wolfgang Held

Leichtigkeit durchzieht den ganzen Unterricht. Einmal geht es ums Wetter, und die Kinder sollen dazu englische Wörter an die Tafel schreiben: cloudy, storm, windy, fog, rain, snow ... Dann geht’s rückwärts: Wenn jemand zu einem Wort einen Satz bilden kann, wischt Silvia Albert-Jahn es wieder aus. Im nächsten Schritt wird aus dem Spiel Form: »Create your own weatherreport! You can think of any weather – everything is allowed!« Albert-Jahn gibt noch Anschubhilfe: »In the morning ...« oder »During the night ...«, dann sind die Schüler dran und schreiben, während die Lehrerin durch die Reihen geht. Das Interesse der Schüler wächst, sie fragen nach speziellen Worten: »Was heißt ›Sternschnuppe‹ auf Englisch, was ›Der Sturm beruhigt sich‹?« Dann kommt die Ernte der Arbeit: «Pick your best sentence«, und die Schüler geben ihre Wettermeldungen durch.

Später kommt die 10. Klasse in den Englischraum. Wieder sorgt ein gemeinsames Lied für englisches Fluidum. An der Tafel stehen einige Vokabeln, und nun sollen sich die Schüler Sätze überlegen, in denen ein oder zwei dieser Wörter enthalten sind. Wenn sie den Satz dann vortragen, sollen sie aber an die Stelle der Vokabeln ein englisches »oops« setzen. Die Aufgaben von Silvia Albert-Jahn haben immer etwas Spielerisches und lassen Platz für eigene Experimente. Vermutlich auch deshalb wird es jetzt ganz still. »They oops, oops, oops at the next morning«, sagt ein Schüler zum Beispiel und nimmt gleich drei der Vokabeln auf. Gerade weil sie die Worte nicht aussprechen, sondern verschweigen sollen, scheinen sie sich besonders auf die Worte zu konzentrieren.

Ohne Pause kommt ein neues Thema: »to persuade somebody to do something, to permit somebody to do something, to accuse somebody of doing something« – schriftlich sollen die Schüler eigene Sätze mit diesen Verben bilden. Anschließend wird wieder vorgelesen. Bei »accuse« – hier können die Schüler dreierlei einfügen – wächst die Konzentration noch einmal. Immer wieder ist in den Aufgaben eine feine Steigerung im Schwierigkeitsgrad enthalten, das ist die sportliche Seite in Albert-Jahns Englischstunden.

Dann kommt wieder eine spielerische Einheit mit Improvisation. Die Schüler sollen von 1 bis 5 durchzählen und bilden so fünf Gruppen. Jetzt geht es darum, gegenseitig innerhalb der Gruppen eine Geschichte weiterzuspinnen. Gemurmel und Lachen. Dann soll die weitererzählte Geschichte in ein gefrorenes Bild übersetzt werden, das die Gruppen als Körperskulptur zu bauen haben. Albert-Jahn stört es nicht, dass ein wenig Chaos im Raum ist – eine Gruppe hüpft vor Begeisterung. Die Stunde vergeht wie im Flug.

Dann kommt eine 11. Klasse. Wieder ein Lied zum Aufwärmen, diesmal singt Silvia Albert-Jahn mit irischem Zungenschlag. Die Schüler rezitieren dann von T. S. Eliot »The Journey of the Magi« (»Die Reise der Heiligen Drei Könige«) und besprechen verschiedene Interpretationen des Gedichtes, die es auf Youtube zu hören und zu sehen gibt. Es soll alles spielerisch bleiben. Die »fremde« Sprache ist dann nicht mehr ganz so fremd, weil es zum Spiel gehört, eine Herausforderung ist, sie zu ergreifen.

Silvia Albert-Jahn erzählt mir, dass sie sich zu allen Fragen, die sie im Unterricht stellt, in der Vorbereitung zu Hause Gedanken zu möglichen Antworten gemacht hat. Manchmal sagt sie dann den Schülern, dass sie über eine Antwort von ihnen überrascht sei, weil sie die selbst nicht bedacht habe. Auch sie lernt auf Augenhöhe zu den Schülern.

Dann folgt eine Kurzgeschichte über einen Stadtstreicher, der einsam durch die nächtlichen Straßen zieht. »What would you ask him?«, fragt die Lehrerin in die stille Klasse. Manchmal müsse man sich mit Fragen herantasten, wenn man ahne, dass der andere eigentlich kaum sprechen könne, sagt sie und gibt Beispiele: »Was hättest du im Leben anders machen können? Warum bist du so unglücklich?« Dann dreht sie die Stimmung: »TPS – think, pair, share!« … jetzt sollen die Schüler zu zweit überlegen: Wie könnte man dem Stadtstreicher helfen?

Zum Schluss des langen Vormittages schlurft eine 10. Klasse in den Raum. Ein Schüler hat ein mehrstimmiges Lied vorbereitet und darf es mit der Klasse einstudieren. Obwohl es schon 13 Uhr ist, ist die Stimmung dynamisch, vor allem als Albert-Jahn die Tische zu einem V stellt, damit sich alle Schüler sehen können. Interessant ist, welche englischen Worte sie bei den Schülern korrigiert und welche nicht.

Dann kündigt sie etwas Ungewöhnliches an: »Now I have got a very unusual task for you to do.« In einer Geschichte gibt es ein Begräbnis, die Schüler sollen aufschreiben, was aus der Perspektive des Sarges zu sagen ist. Als sie ihre Sätze vorlesen, entsteht eine neue Geschichte. Ein typischer Satz von Silvia Albert-Jahn ist: »Is that okay for you?« Damit holt sie fortwährend die Schüler herein. Gleichzeitig weiß sie immer, was als Nächstes kommt.

»Fluency before accuracy«, betont sie im Nachgespräch. Tatsächlich impulsiert sie bei den Schülern die Freude am Sprechen. »Die Sprache kann nur leben, wenn man als Mensch gesehen wird, dann kommen die Kinder aus ihrem Schneckenhaus heraus«, erklärt sie mir. Ich müsse in die 1. Klasse gehen. »Da legen wir das Fundament der Sprache. Da tauchen die Kinder in ein Meer der Sprache ein und erleben die Sprache als ein Ganzes, ohne dabei jedes Wort zu verstehen. In der Mittelstufe wird sie bewusster ergriffen und verstanden. So wachsen die Sprachinseln, die immer mehr Boden unter den Füßen geben. Um kommunizieren zu wollen, braucht es authentische Anlässe, nichts Konstruiertes. So wächst das Bedürfnis nach Vokabeln, jenseits von Test und Abfragen. Ich will etwas ausdrücken, denn dazu habe ich etwas zu sagen. Das ist die Triebfeder. Meine Aufgabe«, so Silvia Albert-Jahn, »ist es, die Fenster aufzumachen in die Welt, zu der sich die Schüler in Beziehung setzen oder in der sie sich wiederfinden und dann erzählen wollen.«