Transhumanismus – das Ende des Menschen?

Mathias Maurer

Wir steuern mit Riesenschritten, befeuert von Milliarden an Stiftungsgeldern, auf den künstlichen Menschen zu. 2045 soll es soweit sein, dass Mensch und Maschine eins sind, die Sterblichkeit besiegt und die humane Selbstbestimmung in die algorithmische Fremdsteuerung über­gegangen ist.

Dabei fängt alles ganz harmlos bei jedem selbst an und jeder betreibt sie: die physische, seelische und geistige Selbstoptimierung. Diese sogenannte Enhancement-Entwicklung verläuft exponentiell. Wir wollen schön und gesund sein und unternehmen, von der Werbeindustrie stimuliert, allerhand, um schmerzfrei und juvenil ins Greisenalter zu hüpfen. Damit sind nicht nur Brustvergrößerungen, Zahnimplantate und Herzschrittmacher gemeint, sondern Künstliche Befruchtung, Pränatale Diagnostik, Prothetik und das Anlegen von Organbanken, die im Bedarfsfall physisch Suboptimales ausmerzen sollen. Und wir greifen weiter ein: Sind wir depressiv, Psychopharmaka, Neurotransmitter und Hormongaben justieren uns neu; sind wir nicht klug genug, »lernen« wir via Neurolinks und Interface-Schnittstellen, indem unser Gehirn mit Weltwissen und »Gefühlen« gefüttert wird, »individualisiert« von unserem digitalen Profil. Am Ende wird der menschliche Bios über­flüssig, das Humanum mechanisiert. Das ist kein Horrorszenario, sondern inzwischen politische Realität: Der Roboter »Sophia« hat die Staatsbürgerschaft von Saudi-Arabien erhalten und kann somit als politisches Oberhaupt gewählt werden. Und wem ist es gegenwärtig, dass eine trans­humanistische Partei in Polen 15 Prozent der Wählerstimmen bei den letzten Wahlen erhielt?

Der Transhumanismus ist keine Technokratenhirnen entsprungene Utopie, sondern eine konkret betriebene, ethisch hoch explosive Forschungspraxis, angetrieben von den größten Computer- und Softwarefirmen der Welt – wie zu Beispiel durch Google-Alphabet Inc.: Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben und gottgleicher Allmacht ist nicht zuletzt ein lukratives Geschäftsmodell.

Der thematische Bogen wurde nahezu bis zum Anschlag gespannt, ohne vorschnell von einer einordnenden anthroposophischen Nomenklatur vereinnahmt zu werden. Durch die Präsenz der Kunstschaffenden und der Wissenschaftler mit ihren »Werken«, kam es sowohl bei Teilnehmern wie Referenten zu einem außergewöhnlichen Evidenzerlebnis: Hier der Mensch, der sein Weltverhältnis aus seinem Inneren schöpft und individualisiert zum Ausdruck bringt. Und dort der äußere Mensch, der sich (freiwillig) fremdbestimmen lässt, seine Autonomie aufgibt und in den sich standardisierte Sinnes-, Wahrnehmungs-, Gedanken und Handlungsmuster eindrücken.

Die Kulturtagung wurde von der Sektion für Schöne Wissenschaften am Goetheanum, moderiert von Christiane Haid und Ariane Eichenberg, ausgerichtet. Welche Dimensionen dieses hochaktuelle Tagungsthema hat, zeigt die Liste der Referenten: Roland Benedikter, Politikprofessor in Bozen mit hervorragenden Kontakten in die Think Tanks der Transhumanisten; Michael Hauskeller, Philosophieprofessor an der Universität Liverpool, der zu den moralischen Grundlagen des Enhancements forscht; Christian Kreiß, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Aalen, der sich für eine menschengerechte Wirtschaft einsetzt; Yaroslava Black-Terletzka, Priesterin der Christengemeinschaft, die sich mit dem Thema Ursprungsmythen beschäftigt; René Madeleyn, leitender Arzt in der Filderklinik, zum Thema künstliche Befruchtung; schließlich die bekannten und sehr unterschiedlichen Schriftsteller Galsan Tschinag, Schamane, Stammeshäuptling aus der Mongolei; Patrick Roth (Sunrise) und Sibylle Lewitscharoff (Das Pfingstwunder), die aus ihren Werken lasen und dazu ausführten.

Wir sind durch die technische Entwicklung aufgefordert, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was uns menschliches, selbstbestimmtes Handeln auf der Grundlage eigener Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit bedeutet. Gibt es den »freien« menschlichen Willen? Gibt es ein unhintergehbares, nicht replizierbares menschliches Ich? Worin besteht der Unterschied zwischen einem selbstlernenden digitalen Cyborg und einem Menschen, der zu einer realen Wesensbegegnung fähig ist – Fragen, denen in einer Folgetagung im nächsten Jahr nachgegangen werden soll. Eine Buchpublikation ist in Vorbereitung.

Galsan Tschinag steht allein auf der Bühne des großen Saales im Goetheanum. Er dreht sich langsam im Kreis und ruft die Götter an. Sein melodischer Gesang, seine Stimme scheint nicht aus seinem Mund, sondern aus einem schwebenden und klingenden Resonanzraum zu tönen – ein Ereignis, das die Zuhörer ergreift. Wo war das Ich dieses Schamanen? In ihm konzentriert und kosmisch weit zu gleicher Zeit.