Wenn wir könnten, wie wir wollten. Die Herausforderungen des Transhumanismus

Michael Hauskeller

Bisher ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich, die wir nach der Überzeugung der Transhumanisten dazu nutzen sollten, der richtungslosen natürlichen Evolution auf die Sprünge zu helfen und für eine Optimierung des Menschen zu sorgen. Mit Hilfe der Technologie können wir nämlich nicht nur die äußere Natur weiter unter unsere Kontrolle bringen, sondern auch die innere Natur: das, was wir selber sind und in früheren Zeiten niemals umhin konnten zu sein. Dies zu tun sei wünschenswert und geboten, weil der Mensch, so wie er ist, schlecht oder jedenfalls nicht gut genug sei und eine Verbesserung dringend nötig habe.

Was die Evolution aus uns gemacht hat, ist alles andere als vollkommen. Es gibt ja so vieles, das wir nicht zu tun vermögen, einfach deshalb, weil unsere begrenzte Natur es nicht erlaubt. So können wir nicht fliegen wie die Vögel, schwimmen wie die Fische oder riechen wie die Hunde. Das mag man nicht weiter problematisch finden, aber es handelt sich klar um eine Beschränkung unserer Handlungsfreiheit, und warum sollten wir das einfach hinnehmen, wenn wir es auch anders haben könnten? Mehr zu können ist doch immer besser als weniger zu können.

Andere Beschränkungen haben größere Auswirkungen, etwa die Beschränkungen unseres Denkens. So haben wir zwar grundsätzlich die Fähigkeit, über die Dinge zu reflektieren, Zusammenhänge zu erkennen und uns in der Welt zu orientieren, aber all das kostet uns viel Zeit und Mühe und kann heute bereits oft von Maschinen viel schneller und zuverlässiger erledigt werden. In vielen Bereichen hat die künstliche Intelligenz die natürliche bereits überflügelt. Erziehung kann unsere vorhandenen Fähigkeiten fördern, aber nur innerhalb der von unserer Natur gesteckten Grenzen.

Für den Transhumanisten ist das nicht genug. Selbst mit der besten Erziehung leiden wir ja weiterhin an Schwächen unseres Erinnerungsvermögens, der schnellen Erschöpfung unserer Aufmerksamkeit und diversen kognitiven Verzerrungen. Oft sind wir schlicht zu dumm, um komplexere Sachverhalte zu verstehen. Es gibt hier also einiges, das verbessert werden könnte und nach Ansicht des Transhumanismus eben auch sollte. Denn wenn wir alle intelligenter wären und mehr Dinge schneller und besser verstehen würden, dann hätten wir auch mehr Kontrolle über unser Leben und könnten effektiver dafür sorgen, dass uns die Welt nicht auf die Füße tritt und wir stets gut und glücklich leben können. Eine radikale Verbesserung unserer kognitiven Fähigkeiten würde uns größere Sicherheit und Unabhängigkeit bringen und damit unser Lebensglück auf eine viel zuverlässigere Grundlage stellen. Hierzu beitragen würde auch eine größere Kontrolle über unsere Gefühle, die uns oft dazu bringen, Dinge zu tun, die alles andere als vernünftig sind und uns eher schaden als nützen. Maschinen haben es da besser, da sie sich nicht mit Gefühlen herumschlagen müssen.

Das Recht auf »morphologische Freiheit«

Was unserem Glück aber aus Sicht des Transhumanismus am meisten im Wege steht, ist der Umstand, dass wir alle alt werden und schließlich sterben müssen. Auch das ist eine Folge unserer menschlichen (oder vielmehr tierischen) Natur. Für Transhumanisten ist das ein moralisches Skandalon und schlechthin nicht akzeptabel. Für sie ist der Tod das größte Übel, weshalb es gar nichts Wichtigeres gibt, als unserer Sterblichkeit wissenschaftlich auf den Grund zu gehen und uns dann, ausgerüstet mit diesem neuen Wissen, so umzukonstruieren, dass wir zwar immer noch sterben können, etwa durch Unfälle, aber eben nicht mehr altern und sterben müssen. Ob uns das gelingen wird, muss sich noch zeigen. Da aber der Alterungsprozess, der schließlich zum Tod führt, ein auf natürlichen Gesetzen beruhender biologischer Vorgang ist, ist nicht auszuschließen, dass die Transhumanisten Recht behalten und wir tatsächlich bald einen Weg finden werden, das menschliche Leben radikal zu verlängern. Wir wären dann da, wo uns der Transhumanismus gerne haben will: angekommen in einer von der inneren Natur befreiten, posthumanen Zukunft. Transhumanisten halten diesen »Nachmenschen« für den wahren Menschen. Der radikal verbesserte Mensch der Zukunft wird sich zwar so sehr von uns heute unterscheiden, dass wir Mühe hätten, ihn noch als Menschen zu erkennen. Andererseits aber wird er das sein, was wir der Möglichkeit nach immer schon waren und vielleicht auch immer schon zu sein gedacht waren: ein quasi-göttliches Wesen, das frei ist, oder sich jedenfalls frei machen kann, alles zu werden, was es werden möchte. Diese Freiheit ist für die Transhumanisten das Wesensmerkmal des Menschen. Sie wird darum eingeklagt als ein fundamentales Menschenrecht: das sogenannte Recht auf »morphologische Freiheit«.

Alles ist zu verbessern und zu ersetzen

Der Transhumanismus fordert von uns, seine Werte und Zielvorstellungen zu unterstützen und energisch auf die Überwindung der menschlichen Natur hinzuarbeiten. Wir werden ermutigt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und uns selbst neu zu schaffen, in der Erwartung, damit alles Leiden zu überwinden, das Leben radikal zu verlängern und die Unvermeidlichkeit des Todes abzuschaffen, und letztlich unsere Autonomie – die Fähigkeit, die Gesetze unseres Werdens und Seins selbst zu bestimmen – zu erweitern und vielleicht sogar zu vervollständigen. Und die Gesellschaft, in der wir leben, ist diesem Ziel alles andere als abgeneigt. Der Transhumanismus ist die Avantgarde, von der wir uns gern den Weg weisen lassen. Kosmetik-Firmen werben mit Produkten, die schon durch ihre Namen ewige Jugend und Befreiung von den Banden der Sterblichkeit versprechen, wie Yves Saint-Laurents »Forever Youth Liberator«-Produktreihe. Sogenannte »smart drugs« werden als Studienhilfe angeboten und weithin benutzt, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen und die Konkurrenz auszustechen.

Wenn das die Stimmung drückt, empfehlen sich Stimmungsverbesserer (»happy pills«), die uns wieder heiter machen, wenn wir es mal nicht sind. Wir finden es natürlich und moralisch geboten, immer gut drauf zu sein. Ebenso finden wir es moralisch geboten, immer gut zu sein. Das öffnet den Markt für Moralverbesserer, die es in der Praxis allerdings darauf anlegen, uns umgänglicher und gefügiger zu machen. Die Verbesserung des Körpers folgt der des Denkens, des Fühlens und der Moral. Prothesen ersetzen dysfunktionale oder fehlende Gliedmaßen und Sinnesorgane wie Augen und Ohren und selbst lebenswichtige Organe wie Lungen, Herzen und Teile des Gehirns können künstlich simuliert und ersetzt werden, und die Ersetzung wird oft als Verbesserung erlebt und gefeiert. Menschen verschmelzen mit Maschinen oder wandeln sich immer mehr Maschinen an. So durchläuft unsere Kultur heute einen Prozess fortschreitender Transhumanisierung.

Was heißt »Verbesserung« des Menschen?

Was hier aber gänzlich offen bleibt, von der Frage aber verdeckt wird, ist, was genau wir als eine Verbesserung des Menschen und seines Wesens verstehen sollten.

Das ist keineswegs so klar, wie es zunächst den Anschein haben mag. Was uns als Schwäche unserer biologischen und psychischen Konstitution erscheint, kann in manchen Kontexten eine Stärke sein oder ganz einfach mit anderen Stärken zusammenhängen, so dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist. Viele unserer scheinbaren kognitiven und vielleicht auch moralischen Schwächen sind dieser Art. Und wir müssen nicht alles wissen und alles verstehen können, um gut zu leben. Wir müssen uns nicht an alles erinnern. Täten wir es, würden wir es bald bitter bereuen. Und auch wenn wir uns manchmal wünschen mögen, nicht mehr Gefühlen ausgesetzt zu sein, die ungebeten über uns kommen, so können sie doch als Gefühle nur bestehen, wenn es uns nicht anheimgestellt ist, sie nach Belieben an- und abzuschalten. Wären wir ohne sie tatsächlich, im Ganzen gesehen, besser dran?

Was schließlich das Altern und den Tod und unsere diversen Verletzlichkeiten angeht, so mögen auch diese ihren guten Sinn haben und sogar zur Schönheit und Tiefe des Lebens beitragen. Menschliche Solidarität entsteht aus der empathischen Anerkennung unserer gegenseitigen Abhängigkeit, Anfälligkeit und Zerstörbarkeit. Vollständige Autonomie ist ein Fiebertraum und letztlich nur um den Preis einer völligen Loslösung vom Leben und anderen Lebewesen zu haben. Manchmal ist das Bessere tatsächlich, wie Voltaire einst bemerkte, der Feind des Guten. Manchmal ist gut gut genug, oder sollte es jedenfalls sein. Und vielleicht gibt es doch Wichtigeres im Leben als das eigene unbegrenzte Fortbestehen, das der Transhumanismus anstrebt.

Zum Autor: Michael Hauskeller ist Professor für Philosophie an der Universität Liverpool und Autor zahlreicher Bücher, unter anderem Mythologies of Transhumanism (2016) und The Meaning of Life and Death (2019).