Liebe Leserin, lieber Leser!
Sympathie und Antipathie sind die mächtigsten Antriebe unserer Seele – ursprüngliche Gefühlsinstinkte. Im Extremfall werfen sie alles über Bord, lassen unsere Handlungen entgleisen und kosten unseren Verstand. Man ist hin und weg von einem Menschen oder man kann jemanden einfach nicht riechen. Kein Mensch ist vor diesen Elementargewalten gefeit, packen sie ihn nur kräftig am Wickel. Denn die Ursachen von Sympathie und Antipathie, von Blindheit geschlagenem Verlangen bis abgrundtiefem Ekel wurzeln in den Tiefen unserer Seele, die uns oft verborgen und selbst ein Geheimnis sind. Nicht selten liegt einer neutral und besonnen, ja einer wissenschaftlich und objektiv sich gebenden Haltung ein feines Grundgefühl der Zuneigung oder Ablehnung gegenüber einer Sache oder einem Menschen zugrunde – nur sind wir uns dessen nicht bewusst.
An sich sind diese Seelengewalten nicht gut, nicht schlecht; sie sind einfache Wahrnehmungsorgane unserer Innenwelt. Was sagen sie uns? – Wie reagiert ein erwachsener Mensch auf seine inneren »Signale«? Sie nicht zu unterdrücken oder zu ignorieren, sondern sie anzuerkennen, ihnen handelnd eine »richtige« Richtung zu geben, darauf kommt es an. Daran erweist sich der Grad moralischer Reife und die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis.
Beim kleinen Kind liegt nach Rudolf Steiner die Sache überraschend anders. In seiner pädagogischen Grundschrift »Die Erziehung des Kindes« führt er aus, wie das Begehren, die Freude und Lust diejenigen seelischen Kräfte sind, die es physisch gesund entwickeln lassen bis in die Ausformung seiner inneren Organe hinein. Der Erzieher würde sich versündigen, diesem ursprünglichen Instinkt des Kindes nicht zu folgen. Steiner meint damit nicht, dass jeder tyrannisierenden Verlangensäußerung – zum Beispiel nach Süßigkeiten – entsprochen werden soll, sondern dass der Erwachsene sich einen Blick für die subtilen Vorlieben des Kindes bei der Ernährung aneignen soll.
Eine weitere Dimension eröffnet Steiner in Bezug auf die Quellen von Sympathie und Antipathie. In dem pädagogischen Grundwerk »Allgemeine Menschenkunde« stellt er diese beiden Grundkräfte der menschlichen Seele in einen Zusammenhang unserer geistigen Existenz. Wir könnten als Erdenmenschen nur erkennen, erinnern, vorstellen und Begriffe bilden, wenn wir in eine Art antipathischer Grundhaltung gegenüber der geistigen Welt träten. Und diese Kraft komme aus der Vergangenheit, aus unserem vorgeburtlichen Leben. In unserem (unbewussten) Willensleben verbänden wir uns hingegen in Sympathie mit dem, was unsere Taten keimhaft veranlagten, das – aus geistiger Perspektive betrachtet – noch in der Zukunft, im Nachtodlichen liege. Und diese Sympathie zeige sich im Leben als Phantasie und Imaginationsfähigkeit.
Der Mensch »atmet« seelisch in Sympathie und Antipathie; beide Kräfte konstituieren in andauerndem leisen, manchmal auch lauten Wechsel seine Gefühlswelt.
Wir erfassen nichts vom menschlichen Wesen und der menschlichen Gemeinschaft, wenn diese Seelenmächte im pädagogischen und sozialen Leben nicht berücksichtigt werden. – Begreifen und gestalten wir oder lassen wir uns treiben?
Aus der Redaktion grüßt
Mathias Maurer