Nachreifung tut Not. Warum Erstklässler eine besondere Schule brauchen

Wenn M. morgens in die Klasse kommt, hat er eigentlich keine Zeit, den Lehrer zu begrüßen. Sein Blick streift ihn nur flüchtig und richtet sich gleich in den Klassenraum, um abzuchecken, was dort alles los ist. Er wirft seinen Ranzen an die Wand und schlittert auf den Knien in die Mitte des Geschehens. Dort mischt er sich gleich in das Spiel der anderen, stört es oder reißt es an sich. Dann wechselt er zu einer anderen Gruppe. Im Unterricht hält es ihn kaum länger als eine Minute an seinem Platz und er hört auch nicht, was der Lehrer sagt. Trotzdem hat er immer eine passende Bemerkung parat, noch bevor der Lehrer mit seiner Rede fertig ist.

Ein solches Kind ist kein Einzelfall. Immer mehr Kinder haben heute Schwierigkeiten, sich in die Schule einzugliedern und sich den Anforderungen zu stellen, sind überfordert vom wechselnden Stundenplan und irritiert, dass in jeder Stunde ein anderer Lehrer vor ihnen steht.

Auf dem Schulhof häufen sich die Unfälle, weil Kinder aufeinander prallen. Sie haben wohl gelernt zu rennen, aber nicht zu bremsen oder einander auszuweichen. Wer mit Erstklässlern zu tun hat, kennt all diese Schwierigkeiten. Es ist nicht schlimm, dass Kinder so sind, wenn sie zur Schule kommen. Aber wir müssen als Schule alles dafür tun, dass sie diese Schwierigkeiten meistern.

Den Erstklässlern fehlen heute wichtige Basisfähigkeiten wie Bewegungs- und Koordinationsfähigkeit, Selbstständigkeit, Aufmerksamkeit, Bindungsvermögen, Anpassungsfähigkeit, Sozialverhalten und Rhythmusfähigkeit. Früher konnte man sie zu einem guten Teil voraussetzen. Heute lassen die Bedingungen, unter denen die Kinder aufwachsen, vielfach gar nicht mehr zu, dass sie solche Fähigkeiten in genügendem Maß entwickeln. Sie bilden aber die Grundlage für ein fruchtbares Lernen in der Schule. Und wenn diese Grundlage nicht oder nicht genügend vorhanden ist, dann sind Lern-, Verhaltens- und Entwicklungsstörungen die Folge. Wollen wir die Kinder davor bewahren, müssen wir ihnen Gelegenheit geben, die Entwicklung dieser Basis- fähigkeiten nachzuholen, und zwar gleich zu Beginn der Schule.

Welche Erfahrungen braucht ein Kind?

Viele glauben, ein Kind werde selbstständig, wenn man es möglichst früh alleine tun und entscheiden lässt. Wenn man es also in Situationen bringt, in denen Selbstständigkeit gefordert ist. Die Bindungsforschung hat eindrücklich gezeigt, dass das Gegenteil richtig ist. Selbstständig wird demnach ein Kind, das in den ersten Jahren eine enge, feste Bindung zum Erwachsenen erlebt. In der scheinbaren Unselbstständigkeit einer festen Bindung kann nämlich die Sicherheit wachsen, sich auf neue Situationen einzulassen und der Welt und anderen Menschen gegenüber offen zu sein. Auf dieser Basis entwickeln das ältere Kind und der Heranwachsende die Fähigkeit, Bindungen einzugehen und Beziehungen zu knüpfen. Und zwar nicht nur zu Menschen, sondern auch zu Sachen und Inhalten, die die jungen Menschen auf diese Weise achten und wertschätzen lernen. Wenn Kinder den Inhalten des Unterrichts Offenheit und Interesse entgegenbringen und sich deshalb auf sie einlassen, dann liegt die Ursache dafür in der Qualität der früheren Bindung. Und so ist es auch mit vielen anderen Fähigkeiten, zum Beispiel der, mit einem Stunden- oder Tagesplan zurechtzukommen und selbst die Zeit einteilen zu können. Man kann sie als Rhythmusfähigkeit bezeichnen. Wer als Kind in der Familie und im Kindergarten Rhythmus und Regelmäßigkeit im Ablauf des Tages und der Woche erlebt hat, besitzt die besten Voraussetzungen.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Printausgabe April 2010.