Reisen kann lehrreich sein

Bruno Sandkühler

Das Fahrradtraining war ja eine gute Grundlage und Onkel Luigi in Mailand ein erreichbares Ziel. Vater hatte sogar einen Job in der Schweiz ausfindig gemacht, denn man durfte ja kein Geld aus dem besetzten Deutschland ins Ausland nehmen. Im heilpädagogischen Heim von Hans Spalinger würde ich als Ferienhilfe sieben Franken pro Tag bekommen. So verließ ich also Stuttgart, überquerte die Schwarzwaldhöhen und kam an die Schweizer Grenze.

Der erste Schock: Ich sollte für die Einfuhr des Rades (das hier Velo hieß) 50 Mark Zoll hinterlegen! Nach einigem Hin und Her telefonierte ein Zöllner nach Bussigny, Herr Spalinger überwies telegraphisch das Geld. Das Velo wurde mit einer Plombe geschmückt, ich durfte einreisen.

Es war spät geworden und fing auch noch an zu regnen. Als ich Egerkingen erreichte, war es dunkel. Eine beleuchtete Villa in einem großen Garten. Ich läutete, eine ältere Dame fragte nach meinem Anliegen. Ob ich auf ihrem Rasen mein Zelt aufschlagen dürfe? »Das isch kai guati Idää«, meinte sie, aber sie habe ein Zimmer frei, ich sei willkommen. Es gab sogar noch ein Abendessen. Frau von Arx erzählte, ihr Sohn sei Hauptmann der Schweizergarde im Vatikan, und als sie hörte, dass ich hoffte, bis Rom zu kommen, gab sie mir einen Brief für ihn mit. Der öffnete mir später die Tore des Vatikans.

Am nächsten Tag erreichte ich Bussigny, wurde freundlich empfangen, verbrachte die Ferien mit den Heimbewohnern und bekam meinen Lohn.

Zum Abschied kam dann noch Leon, ein Junge mit Down-Syndrom und überreichte mir feierlich eine Fünf-Franken Münze aus seiner Spardose. Wieder bestieg ich das Velo, pedalte am Genfer See entlang und das Rhonetal hinauf, sparte mir den Simplonpass, indem ich mit der Bahn von Brig durch den Tunnel bis Domodossola fuhr, und klingelte abends nach weiteren 130 Kilometern in der Via del Lauro an der Tür meines Onkels.

Am nächsten Tag Stadtbummel, zuerst natürlich zum Dom. Ein Herr sprach mich auf Amerikanisch an: Ob ich wisse, wo er einen Schneider finden könne; er habe Stoff gekauft, aber nicht bedacht, dass er noch das Bahnticket nach Genua kaufen müsse, wo heute abend sein Schiff abgehe. Er müsse den Stoff daher wieder verkaufen. Mit meinem Anfängeritalienisch fragte ich einen Passanten nach dem nächsten Schneider, der Mann erbot sich aber, den Stoff selbst zu kaufen, er müsse aber erst zuhause das Geld holen. »Dann verpasse ich aber meinen Zug«, meinte der Amerikaner verzweifelt. Kurzum, ich legte das Geld aus, nahm den Stoff als Pfand und gab dem Käufer meine Adresse. – 

Onkel Luigi lachte sich kaputt, als ich mit dem Stoff ankam. »Das ist die "truffa napolitana"«, klärte er mich auf, »der Trick, mit dem auf dem Domplatz ständig Touristen reingelegt werden. Da kannst Du lange auf Dein Geld warten.« So war ich um eine Erfahrung reicher und mein Reisebudget entsprechend kleiner.

Zum Autor: Dr. Bruno Sandkühler ist Ägyptologe, studierte Romanistik und Orientalistik in Florenz, Perugia, Paris und Freiburg. Er begründete gemeinsam mit C.-E. Fischer die Marco-Polo-Reisen und unterrichtete an verschiedenen Waldorfschulen.