Verzicht auf Smartphone. Ein Experiment

Iman Kadyeva

In ihrer Jahresarbeit wollte sie die Situation von Frauen und Mädchen in ihrer Heimat und in Deutschland sowie in Marokko vergleichen, Marokko, weil sie sich an der letzten Begegnung im Rahmen einer Schulpartnerschaft beteiligt hatte, die in Augsburg stattfand. Allerdings war die Auseinandersetzung für sie so belastend, dass sie das Thema wechselte und sich mit den Auswirkungen der modernen elektronischen Medien auf die körperliche, seelische und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beschäftigte. Dazu gehörte auch eine Umfrage in ihrem Umfeld sowie ein Selbstexperiment, aus dessen Beschreibung wir einen Auszug veröffentlichen.

Nach der Beschäftigung mit dem Thema Smartphone und dessen Wirkungen auf den Menschen hatte ich auf das Thema eine völlig neue Perspektive gewonnen. Außerdem war ich angeregt worden, einige meiner Verhaltensmuster zu überdenken. Um aber mein gewohntes Verhalten tatsächlich zu ändern, fehlte es mir zunächst an Motivation und Willen, was sich durch das im Folgenden beschriebene Selbstexperiment ändern sollte.

Selbstexperiment

Das Smartphone ist sehr praktisch, denn es bietet sehr viele Funktionen, Plattformen und Apps, mit denen nahezu jedes Bedürfnis gestillt wird. Wenn man die ganzen Vorteile nutzt, aber sich über die Nachteile nicht informiert, kann es gefährlich werden, vor allem für Jüngere oder Jugendliche, deren Konsumverhalten von den Eltern nicht kontrolliert oder ernst genommen wird.

Da ich selbst auch ein intensiver Smartphone-Nutzer bin, nahm ich mir vor, wenigstens für eine begrenzte Zeit, genauer gesagt für 30 Tage, einmal ganz darauf zu verzichten und zu schauen, wie es mir damit erginge. Im Folgenden dokumentiere ich meine Beobachtungen und Empfindungen während der 30 Tage ohne Smartphone.

Tag 1-7: Die Umstellung in der ersten Woche war sehr schwierig und hart, denn ich war es gewohnt, mit meinem digitalen Wecker aufzuwachen, ununterbrochen erreichbar zu sein, jeden Tag ein paar Folgen einer Serie anzuschauen, sowie nahezu jede Frage zu googeln. In den ersten Tagen hatte ich das Gefühl, ganz viel zu verpassen, da ich es gewohnt war, fortwährend mit meinen Freunden zu kommunizieren, auch wenn dabei nichts wirklich Informatives ausgetauscht wurde. Außerdem vergaß ich ständig, besonders wenn mir langweilig war, dass ich mein Smartphone nicht benutzen durfte und versuchte sogar, mir Notfälle einzureden, um es doch mal benutzen zu können. Auf einmal hatte ich gar nicht so wenig Zeit, wie ich immer gedacht hatte, sondern im Gegenteil, ich hatte sehr viel davon und wusste gar nicht, wie ich sie verbringen sollte.

Tag 8-14: Die zweite Woche ging es ein wenig aufwärts, denn um nicht ständig gelangweilt zu sein und an mein Handy zu denken, suchte ich mir Beschäftigungen. Da mir die Musik sehr fehlte, begann ich, meine eigene zu produzieren und spielte Gitarre. Ebenso nutzte ich meinen neugewonnenen Freiraum, um Bücher zu lesen, für die ich nie Zeit gefunden hatte. Nach einem anstrengenden Tag, wenn ich nicht so viel Kraft hatte, schaute ich auch öfters fern, versuchte aber darauf zu achten, dass ich nicht ein elektronisches Gerät durch ein anderes ersetzte.

Tag 15-21: In der dritten Woche hatte ich gar keine Schwierigkeiten mehr, auf mein Smartphone zu verzichten, sondern merkte langsam, wie viel Zeit ich eigentlich unnötig hatte verrinnen lassen. Mein Schlafrhythmus hatte sich verbessert, und ich war jeden Morgen wirklich ausgeschlafen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich viel ruhiger und weniger reizbar war als sonst. Und – ich weiß nicht, ob es vielleicht Einbildung war, aber ich nahm meine Umgebung mit all den Kleinigkeiten und Details bewusster und intensiver wahr, ebenso auch, wenn sich das Wetter veränderte.

Tag 22-30: Die letzten Tage fühlten sich gar nicht so an, als müsste man jetzt noch mal gut durchhalten, und dann wäre endlich alles vorbei und so wie immer, denn mir war inzwischen klar, dass ich nicht in die alten Verhaltensmuster zurückfallen wollte. Auch an ereignisreichen Tagen konnte es zwischendurch mal langweilig werden, aber es kam in mir nicht mehr der Wunsch auf, dies zu übertünchen und schnell ein paar YouTube-Videos anzuschauen oder kurz mit Freunden zu chatten und zu fragen, was sie so machen.

Im Grunde war ich gar nicht so fokussiert auf das Thema Smartphone, sondern jeden Tag glücklicher, denn ich lernte, die persönlichen Gespräche mit meinen Freunden ganz neu wertschätzen und auch meine viele, neu gewonnene Zeit. Ich fühlte mich in den Wochen meines Experiments in keinem Bereich eingeschränkt, weil ich kein Smartphone verwendete, sondern musste nur lernen, beispielsweise andere Kommunikationsmöglichkeiten zu nutzen. Das Ende der 30 Tage fühlte sich gar nicht wie das Ende eines Experiments an, sondern wie der Beginn einer neuen Lebensphase mit mehr Lebensqualität. Längst hatte ich beschlossen, mein geliebtes Smartphone zu verschenken, da ich es nur noch als sinnlose Last empfand.

Nun sind seit dem Experiment einige Monate vergangen und meine Sicht auf die neue Situation hat sich ein wenig verändert. Ich bin zwar immer noch sehr glücklich über das Ergebnis des Experiments, aber nicht mehr so uneingeschränkt. Zunächst war ich der Meinung, die Kommunikation per Mail sei völlig ausreichend, aber mit der Zeit wurde dies doch ziemlich unpraktisch, da sie so ortsgebunden war. Nur von zu Hause aus konnte ich Mails verschicken und empfangen. Deshalb suchte ich mir eine flexiblere Möglichkeit der Kommunikation und kaufte schließlich vor ein paar Wochen ein Tastenhandy. Es war einfach zu oft vorgekommen, dass ich meine Mails zu spät gelesen und sogar Termine verpasst hatte. Seitdem ich nun mein Tastenhandy habe, fehlt mir aber nichts mehr. Dass es sehr wenige Funktionen hat und relativ langweilig ist, stört mich überhaupt nicht.

Es dürfte für viele schwierig sein, ganz auf das Smartphone zu verzichten, und vielleicht können es viele auch gar nicht, weil sie z. B. für ihre Arbeit ständig erreichbar sein müssen, aber ich kann nur jedem empfehlen und ihm wärmstens ans Herz legen, auf das eigene Konsumverhalten bewusst zu achten und zu versuchen, Leerlauf und freie Zeit anders zu füllen, als mit dem Smartphone, denn viele, die meinem Rat gefolgt sind und für eine Weile auf ihr Smartphone verzichtet haben, empfanden die handyfreien Tage als Urlaub.