Vom Wesen unseres Papiergeldes

Sven Riebe

Das Schweriner »Profilmodell der Oberstufe« bietet den Schülern die Möglichkeit, in Wahlpflichtfächern Teilbereiche ihrer individuellen Interessen zu vertiefen. Es stehen Kurse aus den Bereichen Wissenschaften, Künste, Technik und Bewegung zur Wahl. Der Profilkurs »Basiswissen der Geldwirtschaft« wurde erstmalig 2017 mit insgesamt 30 Stunden angeboten.

Die Basis dieses Profilkurses ist die spielerische Vermittlung von Wissen über die heutige Geldwirtschaft. Begriffe wie Girokonto, Dispokredit, Geldanlage, Hypothek und vor allem der Erhalt der Kaufkraft wurden behandelt. Das sind Themen, die die meisten Menschen als gleichermaßen wichtig wie unattraktiv empfinden. Für die Kursteilnehmer entwickelte sich der Geldmarkt jedoch zu einem spannenden Schauplatz komplexer Zusammenhänge und Dynamiken mit höchster lebenspraktischer Relevanz. Ein Grund dafür war, dass der Unterricht überwiegend in Form eines Planspiels ablief, bei dem grundlegende Marktmechanismen wie Inflation oder Aktienhandel/Goldhandel ganz praktisch erfahren wurden. Aber auch der Kontakt zu »richtigen« Werten, wie einer originalen historischen Silbermünze, die zu Kursbeginn herumgereicht wurde, deren hoher Wert den Schülern im Laufe des Kurses bewusst wurde.

Das Kurskonzept wuchs während des Unterrichts als Kombination aus Marktspielen und Diskussionen mit Erkenntnisgewinn in der Gruppe. Der Geldmarkt war ganz direkt für alle Schüler erfahrbar und auch seine Dimension für den Einzelnen und die Gesellschaft wurde schnell deutlich.

Tauschen, kaufen, Kredite gewähren

Am Anfang stand der einfache Tausch von mitgebrachten Produkten, wobei jeder Schüler mindestens eine Sache tauschen sollte. Nach der Festlegung eines Produktwertes und der Einführung von Bargeld florierte das Tauschspiel. Interessant wurde der Handel durch die Gewährung von Krediten. Die Kinder konnten im Spiel Geld von einer Bank, also dem Spielleiter, leihen, mussten allerdings am Unterrichtsende das gesamte Geld und zusätzlich Zinsen zurückzahlen. Schnell war klar: Hier wird ein Mitspieler pleite gehen – und in dem Fall sein mitgebrachtes Produkt der Bank übergeben – da gar nicht genug Geld für das Ablösen der Kredite und die Zinsen im System vorhanden war. Aber scheinbar kein Problem: Im nächsten Schritt druckte die Bank einfach neues Geld und vergab großzügige Kredite: Die Schüler befanden sich mitten in der Inflation, kauften verschwenderisch ein und bemerkten nach und nach, dass ihr Papiergeld keinen materiellen Gegenwert mehr besaß und folglich immer wertloser wurde.

Börsenspiele

Nun wurden Gruppen gebildet, die im Wert von 20 Euro Waren, Papiergeld oder echte Silbermünzen erhielten. Spätestens an diesem Handelstag setzte die Erkenntnis ein, dass das Bündel Papiergeld unter der Matratze wohl doch nicht die beste Vermögensanlage ist.

Schließlich versuchten sich die Kursschüler in einem eigenen Börsenspiel: Nach der Besprechung von Grundbegriffen wie Aktie, Kursschwankung oder Dividende startete der recht realistische Börsenhandel. Die Schüler erhielten dafür einige selbst gewählte Spiel-Aktien aus dem deutschen Aktienindex (DAX). Aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entwickelte sich ein reger Aktienhandel, gesteuert durch Nachrichten aus der Spielleitung über aktuelle Ereignisse, wie Flugzeugabstürze oder Produktentwicklungen, aber auch durch »Fake-News«, wie die Entdeckung einer Silbermine, die sich später als Kupfermine entpuppte, was den spontanen Silberminenaktionären arge Probleme bereitete. Schließlich steuerte auch dieses Geldmarktspiel auf einen Börsencrash hin, Aktien und Geld wurden entwertet, nur Edelmetallinvestoren hatten gut lachen. In dieser Art wurden verschiedenste Begriffe und Szenarien der Finanzwirtschaft erarbeitet.

Ein Wissensvorsprung

Was als Idee eines Marktspiels im Kurs begann, entwickelte während der Kurszeit eine bemerkenswerte Eigendynamik. Einerseits in der Klasse, die mit einer außergewöhnlich hohen Motivation aller Schüler die theoretischen und praktischen Unterrichtsinhalte im Spiel und in Diskussionen bearbeitete und vertiefte. Andererseits über die Schule hinaus, indem die Finanzlage und Finanzprodukte innerhalb der Familien mit den Eltern erörtert wurden. Diese bekundeten daraufhin selbst Interesse an einem Kurs zum Thema »Geldmarkt«.

Auch basierend auf dem individuellen Hintergrund der Waldorfschüler entstanden lebhafte philosophische Unterrichtsgespräche, die über Finanzbegriffe weit hinausgingen: Wie kann die Kaufkraft meines Geldes erhalten werden? Wie ist mein eigenes Risikoverhalten? Wann ist eine Person arm oder reich? Ist der Handel mit Produkten wie Gesundheit oder sauberem Wasser moralisch vertretbar? Wie sollte ein verantwortungsvoller, nachhaltiger, gemeinwohlorientierter Geldmarkt aussehen?

Den Abschluss des Kurses bildete eine Anekdote aus den USA der 1920er Jahre: Auf eine Stellenanzeige für einen Funker meldeten sich mehrere hundert junge Menschen zu Vorstellungsgesprächen in einer riesigen Lagerhalle. Geduldig warteten sie darauf, an die Reihe zu kommen. Plötzlich eilte einer von ihnen in einen der Räume und kam kurz darauf mit einem Arbeitsvertrag wieder heraus. Was war geschehen? Der Bewerber konnte Morsezeichen verstehen! Er hatte sie aus dem Stimmengewirr herausgehört und deshalb den Job bekommen.

Sein Wissensvorsprung hatte ihm einen immensen Vorteil beschert. Und die Schüler zogen direkt Parallelen zu ihrem Wissensvorsprung bei den Themen Finanzen und Geldmarkt gegenüber Gleichaltrigen und sogar den meisten Erwachsenen. Sie hatten nicht nur an Wissen und Erfahrung, sondern auch an Selbstbewusstsein dazugewonnen!

Beeindruckend wurde in diesem Profilkurs wieder deutlich, welchen hohen Wert praktische Selbsterkenntnis für den Wissenserwerb und die Motivation von Lernenden hat. Alle Schüler hatten, unabhängig vom sonstigen Leistungsvermögen, einen Aha-Effekt. Die Erfahrungen aus dem Kurs konnten direkt in die eigene Lebenswelt der Schüler und ihrer Familien übertragen werden.

Zum Autor: Der Finanzfachwirt Sven Riebe ist seit vielen Jahren aktiv im Finanzkreis des Schweriner Waldorfvereins tätig und Vater dreier Kinder an dieser Einrichtung. Er entwickelte auf Basis seiner Berufserfahrung und gemeinsam mit den teilnehmenden 10.- und 11.-Klässlern das vorgestellte Profilkurskonzept.